Auf einschlägigen Internetseiten aber auch auf so mancher Anwaltsseite wird die so genannte „Vollmachtsrüge“ als hervorragendes Verteidigungsmittel gegen Abmahnungen, vor allem gegen die Kosten gefeiert. Das kann stimmen, ist aber in den meisten Fällen nicht so.
Teilweise wird behauptet, eine Abmahnung ohne die Vorlage einer Vollmachtsurkunde sei „unwirksam“ und daher unbeachtlich. Das ist Unsinn. Siehe auch hier.
Wir wollen eine kürzlich veröffentlichte Entscheidung des OLG Düsseldorf (Urteil vom 21.11.2006, Az. I-20 U 22/06) zum Anlass nehmen, mit den Legenden und Mythen – in denen sich übrigens auch das OLG Düsseldorf zu verheddert haben scheint – aufzuräumen.
Nach § 174 BGB ist ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist. Das heißt also, dass eine Unwirksamkeit sich nur dann ergeben kann, wenn das „Rechtsgeschäft“ unverzüglich zurückgewiesen wird.
Jetzt ist es aber so, dass die meisten Obergerichte schon nicht der Meinung sind, dass eine Abmahnung ein „einseitiges Rechtsgeschäft“ darstellt, so dass die Anwendbarkeit der Vorschrift deren Meinung nach bereits ausscheidet. Die Vollmachtsrüge kann sich also nur dann überhaupt auswirken, wenn man sich vor dem OLG Düsseldorf oder dem OLG Nürnberg streitet. Alle übrigen Oberlandesgerichte – außer den OLG Hamburg und Stuttgart, welche eine vermittelnde Auffassung vertreten, wonach nicht nur unverzüglich zurückgewiesen sondern auch gleichzeitig die Erklärung abgegeben werden muss, dass man sich nach Vorlage der Originalvollmacht umgehend unterwerfen werde – wenden den § 174 BGB auf die Abmahnung nicht an.
Als Zwischenergebnis lässt sich also festhalten, dass sich die Zurückweisung einer Abmahnung mangels Vollmacht vor dem Hintergrund des im Internetbereich fliegenden Gerichtsstand als stumpfes Schwert erweist. Denn der Verletzte kann sich den Gerichtsstand aussuchen und wird, wenn er der Abmahnung keine Originalvollmacht beigefügt hat, wohl nicht Nürnberg oder Düsseldorf wählen.
Auch darüber hinaus ist der Sinn einer solchen Rüge äußerst zweifelhaft, beschränkt sich doch der Anwendungsbereich des § 174 BGB nur auf 2 Fälle:
1. Sofortiges Anerkenntnis mit Kostenwiderspruch
Der Verletzer wird ohne die Vorlage einer Originalvollmacht abgemahnt und weist die Abmahnung unter Hinweis auf die mangelnde Vollmacht unverzüglich zurück. Nach der von ihm gesetzten Frist beantragt der Verletzte gleichwohl eine einstweilige Verfügung, die der Verletzer nach Zustellung an ihn sofort anerkennt. Jetzt hätte der Verletzer die Möglichkeit im Rahmen eines Kostenwiderspruchs zu versuchen, das Gericht dazu zu bewegen, dem Verletzten als Antragssteller in Anwendung des § 93 ZPO die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Gemäß § 93 ZPO gilt: Hat der Beklagte nicht durch sein Verhalten zur Erhebung der Klage Veranlassung gegeben, so fallen dem Kläger die Prozesskosten zur Last, wenn der Beklagte den Anspruch sofort anerkennt.
Die Oberlandesgerichte Düsseldorf und Nürnberg würden nun dazu kommen, dass die Abmahnung, die dem Verletzter grundsätzlich die Möglichkeit einräumen soll, durch Abgabe einer Unterlassungserklärung einen Rechtsstreit zu vermeiden, gem. § 174 BGB unwirksam war. Dies wiederum hätte zur Folge, dass der Verletzer nicht Anlass zur Klage (zum einstweiligen Verfügungsverfahren) gegeben hätte, so dass dem Antragssteller die Kosten aufzuerlegen wären. Voraussetzung ist demnach aber auch, dass der Anspruch sofort und ohne weiteres Lamentieren bedingungslos anerkannt wird. Nur dann hat der Verletzer keinen Anlass zur Klage gegeben.
Die Vorteile eines solchen Vorgehens halten sich sehr in Grenzen. Denn wie gezeigt muss man den Anspruch als solchen voll umfänglich anerkennen. Wichtig ist auch zu beachten, dass auch in diesem – eher seltenen Fall – der Verletzter selbstverständlich die bisherigen Kosten der außergerichtlichen anwaltlichen Arbeit aus den Grundsätzen des Schadensersatzes (s.u.) erstatten muss. Durch die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr spart eine solche Vorgehensweise somit nur die Gerichtskosten und eine halbe anwaltliche Gebühr.
2. Der Verletzer ist lediglich „Störer“
Der zweite Anwendungsbereich ist eröffnet, wenn der Verletzer so genannter „Störer“ ist. Im gewerblichen Rechtsschutz aber auch im Urheberrecht haftet grundsätzlich nicht nur der Täter einer unerlaubten Handlung, sondern auch derjenige, der sich adäquat kausal und willentlich an einem fremden Verstoß beteiligt und dem die Verhinderung des fremden Wettbewerbsverstoßes rechtlich möglich und zumutbar war bzw. ist. Das Besondere ist, dass diese Haftung keinerlei Verschulden, also Vorsatz oder Fahrlässigkeit bei dem Inanspruchgenommenen voraussetzt.
Wenn ein Störer die Abmahnung unter Hinweis auf die mangelnde Vollmachtsvorlage im Original zurückweist, gilt die Abmahnung (wohlgemerkt nur nach OLG Düsseldorf und Nürnberg) als unwirksam. Unterwirft sich der Störer nun umgehend gegenüber dem Verletzten, also gibt eine entsprechende Unterlassungserklärung ab, so ist der Unterlassungsanspruch erfüllt, also eine weitere Inanspruchnahme (weitere Abmahnung) nicht erforderlich.
Der Verletzte bleibt nun auf den Kosten der Abmahnung sitzen, die er einem Störer gegenüber wegen Fehlen des Verschuldens nicht aus Schadensersatzgesichtspunkten, sondern nur aus entweder § 12 UWG im Wettbewerbsrecht oder nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag (§ 683 Satz 1, §§ 677, 670 BGB) geltend machen kann. Denn diese Vorschriften setzen entweder (§ 12 Abs. 1 S. 2 UWG) eine „berechtigte“ Abmahnung voraus oder nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag, dass es sich um „erforderliche Aufwendungen“ handelt.
Diese Voraussetzungen erfüllt natürlich eine unwirksame bzw. unberechtigte Abmahnung nicht.
Dennoch gibt es für Rechtsverletzer auch nach Ansicht Düsseldorf oder Nürnberg keinen Grund zu jubeln. Denn die Anwaltskosten des Abmahners spart selbstverständlich nicht derjenige, der schuldhaft in eine fremde Rechtsposition eingegriffen hat, und demnach aus Schadensersatz gem. § 9 UWG oder § 97 UrhG haftet.
Hier gilt der althergebrachte Grundsatz im Schadensersatzrecht, dass der Verursacher eines Schadens diesen auch voll umfänglich zu ersetzen hat. Dazu gehören auch notwendige Rechtsanwaltskosten. Für den Fall einer Urheberrechtsverletzung, wie sie vor dem OLG Düsseldorf Thema war, sind diese Kosten schon mit Beauftragung des Rechtsanwalts zur Prüfung der Angelegenheit entstanden, spätestens jedoch mit Verfassen der Abmahnung an den Verletzer. Das sieht auch das OLG Düsseldorf so, wenn es ausführt:
(…)Zum anderen war die Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2400 VVRVG spätestens mit der Abfassung der Abmahnung vom 25.05.2005 entstanden. (…)
Was nach der Beauftragung des Anwalts geschieht – ob die Abmahnung abgeschickt wird, ob sie ankommt, ob die Parteien sich vergleichen oder ob der Verletzer eine Unterlassungserklärung abgibt oder nicht – hat mit der Entstehung der Rechtsanwaltskosten als adäquat kausaler Schaden nichts zu tun.
Dem Urteil ist leider nicht unzweifelhaft zu entnehmen, ob es sich bei dem Verletzer um einen Täter oder einen Störer gehandelt hat. Es liegt jedoch nahe, anzunehmen, dass hier ein Täter am Werke war, denn auch der Senat erwägt einen Anspruch aus § 97 UrhG.
Es scheint, als sei das OLG Düsseldorf auch dem „Abmahnwahn“ verfallen, der zurzeit grassiert. Dabei kommt es bei einer Rechtsverletzung im gewerblichen Rechtsschutz auf das Schriftstück „Abmahnung“ nur in den seltensten Fällen, wie zum Beispiel den beiden oben geschilderten, an. Unerlaubte Handlungen ziehen Schadensersatzansprüche nach sich, egal wie das Arbeitsergebnis des beauftragten Anwalts aussieht, ob es verschickt, gefaxt oder telefonisch mitgeteilt wird oder ganz verloren geht.
Schon gar nicht können Formfehler in der Abmahnung den Verletzer um seinen Schadensersatz bringen. Und um den ging wohl es im vorliegenden Fall und nicht um die Kosten einer Abmahnung.
Bei dem Urteil des OLG Düsseldorf dürfte es sich demnach um eine Fehlentscheidung handeln, welche aber vom BGH korrigiert werden kann, da der Senat die Revision glücklicherweise in der (fehlgehenden) Ansicht zugelassen hat, streitentscheidend sei hier die Anwendbarkeit von § 174 BGB gewesen.
Nur am Rande sei erwähnt, dass in dem Rechtsstreit vor dem OLG Düsseldorf offenbar „Not gegen Elend“ geklagt hatte. Man fragt sich nämlich, weshalb sich der Kläger bei einer Urheberrechtsverletzung im Internet nun von allen 116 Landgerichten Deutschlands ausgerechnet das von den wenigen aussucht, dass die Mindermeinung in Sachen § 174 BGB vertritt. Demgegenüber hätte sich der Beklagte witzigerweise beinahe selbst um sein Glück mit dem Gerichtsstand gebracht. Denn wie dem Tatbestand des Urteils zu entnehmen ist, hat er vor dem Landgericht die örtliche Zuständigkeit des Gerichts noch bestritten…
Arno Lampmann