Im ersten Punkt teilt die Entscheidung des OLG Hamm (OLG Hamm, Urteil v. 12.01.2010, Az.4 U 193/09) nichts Neues mit. Der Adressat muss vom Zugang des Schriftstücks (nicht nur) Kenntnis erhalten, sondern zudem entscheiden, ob er es als zugestellt ansieht. Die Äußerung des Willens, das Schriftstück anzunehmen (Empfangsbereitschaft) ist – anders als etwa bei einer Zustellung durch den Gerichtsvollzieher – zwingende Voraussetzung einer wirksamen Zustellung (BGH NJW 1976, 107; Zöller-Stöber, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 174 Rn. 6; § 195 Rn. 7; MünchKomm.-Häublein, ZPO, 3. Aufl. 2008, § 174 Rn. 6)
Hier wurde offenbar bei der Parteizustellung durch den Anwalt nicht mitgewirkt und kein Empfangsbekenntnis verschickt, so dass die Vollziehung wirkungslos blieb. Bis hierhin nichts Besonderes.
Interessant ist aber die Behauptung des Gerichts, dass die Zustellung nach §§ 191, 172 ZPO zwingend an den Anwalt der Gegenseite hätte erfolgen müssen, da dieser als „bestellt“ anzusehen sei und daher die ebenfalls veranlasste Zustellung der einstweiligen Verfügung durch den Gerichtsvollzieher an die Partei persönlich unwirksam sei.
Das Gericht führt dazu aus:
„Die Vollziehung musste nach §§ 191, 172 ZPO gegenüber den Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin erfolgen. Diese waren für den Prozess als bestellt anzusehen. Auch wenn die vorgerichtlichen Anwaltsschreiben vom 14.05.2009, 12.06.2009 und 16.06.2009 auf die Bekanntgabe einer Prozessbevollmächtigung unmittelbar noch nicht hinweisen, war hier die Mitteilung über die „Bestellung“ durch den Gegner, hier den Antragsteller, als ausreichend anzusehen (vgl. hierzu BGH NJW-RR 2000, 444). Dieser hat mit der Antragsschrift bereits die Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin mitgeteilt, und vor allem sind diese dann auch in der Beschlussverfügung als solche bezeichnet. Hat das Gericht so den Anwalt in das Passivrubrum der Beschlussverfügung aufgenommen, muss der Antragsteller zur Wahrung der Frist des § 929 II ZPO diesem Anwalt zustellen (OLG Hamburg NJW-RR 1995, 444; Musielak-Wolst, ZPO, 7. Aufl. 2009, § 172 Rn. 2; Ahrens- Berneke, Kap. 57, Rn. 37). Der Antragsteller muss sich vorliegend insofern an der selbst mitgeteilten Prozessvollmacht im Rahmen der Antragsschrift festhalten lassen.“
Das Gericht fingiert demnach offenbar eine Prozessvollmacht zu Lasten des Antragstellers ungeachtet der Frage, ob diese tatsächlich vorliegt, allein mit dem Argument, dass dieser diese ja auch so behauptet habe und somit die gegnerischen Prozessbevollmächtigten im Sinne des § 172 ZPO „bestellt“ habe.
Sieht man sich die vom Gericht zur Stütze dieser These angeführten Urteile an, so wird deutlich, dass die Entscheidung an dieser Stelle nicht nur merkwürdig erscheint, sondern schlicht falsch ist.
Für eine wirksame Bestellung eines Prozessbevollmächtigten und dafür, dass der Antragssteller gem. §§ 191, 172 ZPO dem Prozessbevollmächtigten und nicht der Partei zustellen muss, ist naturgemäß Voraussetzung, dass ein solcher Prozessbevollmächtigter überhaupt existiert. Dies wiederum setzt eine entsprechende Bevollmächtigung des Mandanten voraus. Liegt eine solche nicht vor, gibt es auch keinen Prozessbevollmächtigten, an den zugestellt werden müsste. Dies unabhängig von anderslautenden Behauptungen des Antragstellers.
Davon, dass der gegnerische Anwalt von seinem Mandanten zur Prozessführung ermächtigt worden wäre, erwähnt die Entscheidung jedoch nichts. Eine andere Frage ist, ob die Kenntnis des Zustellenden einer bestehenden Bevollmächtigung dadurch dokumentiert werden kann, dass der Zustellende die Prozessbevollmächtigung der zuständigen Stelle zum Beispiel durch Aufnahme des gegnerischen Anwalts in das Rubrum, mitteilt. Dies betrifft Fälle, in denen eine Bevollmächtigung objektiv vorliegt, der Zustellende jedoch die „Bestellung“ mit der Behauptung bestreitet, keine Kenntnis von der Bevollmächtigung zu haben. Diese Konstellation behandelt die erste vom Senat in Bezug genommene Entscheidung des BGH. Dort wird unter anderem das Folgende ausgeführt:
„Zwar kann auch durch eine Anzeige des Prozessgegners ein Bevollmächtigter „bestellt” werden, wenn die vertretene Partei oder ihr Vertreter dem Gegner von dem Bestehen einer Prozessvollmacht Kenntnis gegeben hat (BayVerfGH, NJW 1994, unter IV)“ 2280
Grundvoraussetzung für eine „Bestellung“ ist aber selbstverständlich eine bestehende Vollmacht.
Auch die Entscheidung des OLG Hamburg geht von dem Bestehen einer wirksamen Prozessvollmacht aus und problematisiert lediglich die Frage der Kenntnis dieser Vollmacht:
„Richtig ist die Erwägung der Ast., daß eine Pflicht, an den Prozeßbevollmächtigten zuzustellen, nicht bestehen kann, wenn die zustellende Partei keine Kenntnis von der Bevollmächtigung hat. Deshalb ist unter Bestellung i.S. des § der Umstand zu verstehen, daß bei einer Parteizustellung der zustellenden Partei hiervon Kenntnis gegeben worden ist ( 176 ZPOBGHZ 61, f.) = 308 ( 310NJW 1974, ; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 21. Aufl., § 176 Rdnr. 17). Diese Voraussetzung ist hier aber erfüllt, denn in der Beschlußverfügung war Rechtsanwalt S ausdrücklich als Prozeßbevollmächtigter benannt.“ 240
Darüber, ob die Gegenanwälte bereits zum Zeitpunkt der Zustellungsversuche Prozessvollmacht hatten, teilt die Entscheidung des OLG Hamm indes nichts mit. Vor dem Hintergrund der oben zitierten Ausführungen des Senats und der Tatsache, dass die vorgerichtlichen Schreiben die Mitteilung über eine Prozessbevollmächtigung nicht enthielten, ist jedoch davon auszugehen, dass eine solche auch nicht bestand und daher die Zustellung an die Gegenpartei wirksam war.
Man kann demnach vor dem Hintergrund dieser Fehlentscheidung des ansonsten eigentlich immer gesetzesfesten OLG Hamm nur von Glück reden, dass für den Antragsteller nicht viel auf dem Spiel stand und der Streitwert und somit die nun zu bezahlenden Kosten nicht all zu hoch waren, ging es doch offenbar nur um Formulierungsdetails innerhalb der gegnerischen Widerrufsbelehrung. Die Entscheidung zeigt aber, dass ein Verfügungsgläubiger ungeachtet der noch so klaren Rechtslage eine Verfügung möglichst beiden, dem Gegner persönlich und dessen Anwalt zustellen lassen und auch beiden Zustellungen größte Sorgfalt widmen sollte. In der Sache bleibt einem zwar immer noch das Hauptsacheverfahren. Die bis dahin entstandenen Kosten können dem Mandanten die Lust am Prozessieren jedoch leicht verderben. (la) Zum Urteil