Deutsche Gerichte sind international zuständig, wenn ein in Luxemburg ansässiger Online-Marktplatzbetreiber ein Verkäuferkonto eines deutschen Händlers sperrt und es um den Vorwurf einer marktbeherrschenden Stellung geht. Das hat das Landgericht München I entschieden (LG München I, Urteil v. 03.09.2021, Az. 37 O 9343/21).
Im konkreten Fall wurde einem Amazon-Marketplace-Händler, der in Deutschland ansässig war, das Verkäuferkonto gesperrt. Die internationale Zuständigkeit richtet sich laut LG München I in einem solchen Fall nach Art. 7 Nr. 2 der EU-Verordnung 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel-Ia-Verordnung).
Danach kann eine „Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats hat, in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, „wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“. Das LG München I begründet die Zuständigkeitsentscheidung damit, dass eine Auslegung des zwischen den Parteien bestehenden Vertrages in einem solchen Fall zur Beurteilung der Begründetheit der Klage „nicht unerlässlich“ ist.
Örtliche Zuständigkeit ebenfalls in Brüssel-Ia-Verordnung geregelt
Hat der jeweilige Händler seinen Geschäftssitz in Deutschland, richtet sich die örtliche Zuständigkeit ebenfalls nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO. Etwas anderes gilt nur, wenn aus anderen Gründen eine engere Verbindung zu einem anderen Gerichtsstandort gegeben ist. So komme eine Abweichung von der Zuständigkeit am Ort des Geschäftssitzes insbesondere in Betracht, wenn der Händler außerhalb der EU ansässig ist und daher innerhalb des international zuständigen Mitgliedsstaates keine besonders enge Verbindung zu einem bestimmten Gerichtsort besteht (vgl. LG München I, Urteil v. 12.05.2021, Az. 37 O 32/21).
Accountsperrung wegen zu hoher Bestellmängelrate
In dem vom LG München I entschiedenen Fall ging es um einen Amazon-Marketplace-Händler, der die in einer Amazon-Richtlinie festgelegte Rate an Bestellmängeln von einem Prozent überschritten hatte. Amazon wies den Händler auf die Bestellmängelrate hin und gab dem Verkäufer Gelegenheit zur Abhilfe, um eine vorübergehende Deaktivierung des Verkäuferkontos 72 Stunden später zu verhindern. Eine darauf folgende Eingabe des Verkäufers führte nicht zu einer Reaktivierung des Verkäuferkontos. Stattdessen wurde dieses zwei Tage nach dem Hinweis deaktiviert.
Missbrauch von Marktmacht gegenüber abhängigem Verkäufer?
Der Verkäufer begehrte daraufhin vor Gericht den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Der Verfügungskläger stützte seinen Unterlassungsanspruch zum einen auf § 33 Abs. 1, Abs. 3 i.V.m. den §§ 19 Abs. 2 Nr. 1, 20 Abs. 3 S. 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sowie auf die §§ 3, 4 Nr. 4, 8 Abs. 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG).
Argumentiert wurde, es liege ein Missbrauch von Marktmacht vor und eine Diskriminierung gegenüber der Amazon Europe S.a.r.l., da letztere von Verbrauchern nicht bewertet werden könne und daher keine Sanktionen zu befürchten habe. Das Beschwerdemanagement der Verfügungsbeklagten sei ferner untauglich und entspreche nicht den Vorgaben der EU-Verordnung 2019/1150 zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten. Daraus könne geschlossen werden, dass es der Verfügungsbeklagten allein um einen Ausschluss des Vertragspartners in Kenntnis von dessen wirtschaftlicher Abhängigkeit vom Verkauf über die Plattform gehe.
Vertragsinhalt nicht entscheidend
Das LG München urteilte, dass es für die Kartellrechtswidrigkeit des beanstandeten Verhaltens allein darauf ankommt, ob der Verfügungsbeklagten eine marktbeherrschende Stellung zukommt und sie diese missbräuchlich ausgenutzt hat. Auf den Inhalt des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrags oder der sonstigen dem Vertragsverhältnis zugrundeliegenden Bestimmungen komme es dagegen nicht an. Es sei deshalb im Sinne der Abgrenzungsformel des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil v. 24.11.2020, Az. C-59/19) zur Beurteilung der Begründetheit der Klage nicht unerlässlich, den Vertrag zwischen den Parteien auszulegen.
Für deutsche Onlinehändler bedeutet das Urteil, dass sie im Fall von Rechtsstreitigkeiten nicht zwingend vor ein ausländisches Gericht ziehen müssen. Dies vereinfacht die Durchsetzung von Ansprüchen, die Online-Marktplätze betreffen.