Polnische Gerichte dürfen weiterhin an ihrer Rechtsprechungspraxis in Bezug auf Markenverletzungsklagen festhalten — auch wenn dies bedeutet, dass neben betroffenen Waren auch nicht betroffene Waren beschlagnahmt werden. Wichtig ist nur, dass dem Beklagten eine Möglichkeit für einen hinreichenden Rechtsbehelf eingeräumt wird. Der EuGH stärkte damit die Position von Unionsmarkeninhabern (EuGH, Urteil vom 17.11.2022, Az. C-175/21).
Markenverletzung durch polnisches Vertriebsunternehmen?
In der vorliegenden Rechtssache wandte sich ein polnisches Gericht im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens an den EuGH. Durch ein Vorabentscheidungsverfahren können nationale Gerichte eine Vorlagefrage an den EuGH stellen, um die Anwendbarkeit oder Auslegung von europäischem Recht klären zu lassen.
Hintergrund des Verfahrens war eine Markenverletzungsklage des US-amerikanischen Herstellers für Lautsprecher, Kopfhörer und Audiosysteme Harman International Industries. Dieser vertreibt durch einen Vertragshändler in Polen Produkte ihrer Unionsmarken JBL und HARMAN, deren Inhaber sie ist.
Bei der Klagegegnerin handelt es sich um die AB S.A., ein polnisches Unternehmen, das auf dem polnischen Markt Waren von Harman vertreibt, die es bei einem anderen Händler als dem Vertragshändler von Harman kauft.
Grundsatz der Erschöpfung
Daraufhin erhob Harman Klage vor dem nationalen Gericht auf Unterlassung der Verletzung ihrer Markenrechte mit dem Antrag, es der AB S.A. generell zu untersagen, Lautsprecher und Kopfhörer, die mit diesen Marken gekennzeichnet sind und nicht zuvor von Harman oder mit ihrer Zustimmung im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) in den Verkehr gebracht wurden, in den Verkehr zu bringen. Außerdem solle die AB S.A. diese Waren vom Markt nehmen und vernichten.
Die AB S.A. berief sich auf den Grundsatz der Erschöpfung. Dieser besagt, dass der Inhaber einer Marke es einem Dritten nicht verbieten kann, die Marke für Waren zu benutzen, die unter dieser Marke vom Inhaber selbst im EWR in den Verkehr gebracht worden sind. Laut der AB S.A. erhielt sie von ihrem Lieferanten die Zusicherung, dass die Einfuhr der betreffenden Waren mit der Zustimmung von Harman im EWR in den Verkehr gebracht wurden.
Polnisches Gericht trifft auf Problem
Das polnische Gericht entschied, dass die von Harman verwendete Kennzeichnung auf den Waren nicht immer ausreichten, den Bestimmungsmarkt einer Ware festzustellen. Dafür sei der Zugriff auf Datenbanken von Harman erforderlich.
Darüber hinaus ergab sich das Problem, dass polnische Gerichte regelmäßig im Tenor ihrer Entscheidungen zu Markenverletzungsklagen die Formulierung „Waren, die nicht zuvor vom Kläger (Inhaber der Unionsmarke) oder mit seiner Zustimmung im EWR in den Verkehr gebracht wurden“ nutzten. Im Zwangsvollstreckungsverfahren erlaube es diese Formulierung nicht, die Waren voneinander abzugrenzen, die von der Entscheidung erfasst sind und die unter die Ausnahme der Erschöpfung des Rechts aus der Marke fallen.
Die Auswahl der Waren könne daher nicht von der Beklagten selbst vorgenommen werden, sondern falle in das Ermessen der beschlagnahmenden Behörde. Im polnischen Recht gibt es indes keinen geeigneten Rechtsbehelf gegen fälschlicherweise beschlagnahmten Waren.
Vorlage der Frage an den EuGH: zulässige Rechtsprechungspraxis?
Unter diesen Umständen hat das polnische Gericht das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die Frage zur Klärung vorgelegt, ob diese Rechtsprechungspraxis gegen die Unionsmarken-Verordnung, die AEUV oder die Durchsetzungs-Richtlinie verstößt.
Der EuGH entschied, dass die Rechtsprechungspraxis der polnischen Gerichte nicht gegen europäisches Recht verstoße. Es stehe im Einklang mit oben genannten Vorschriften, dass es der Behörde überlassen wird, auf welche Waren die Entscheidung Anwendung findet, sofern der Beklagte im Rahmen des Zwangsvollstreckungsverfahrens die Bestimmung der Waren anfechten und ein Gericht überprüfen kann, welche Waren tatsächlich erfasst sind.
Beklagtem muss Rechtsbehelf eingeräumt werden
Nach Ansicht des EuGH liege das Problem nicht in der weiten Tenorierung der polnischen Gerichte, sondern in der fehlenden Verfügbarkeit eines Rechtsbehelfs gegen die Zwangsvollstreckungsmaßnahme. Dies verstoße gegen die Warenverkehrsfreiheit nach Art. 34, 36 AEUV und das Recht auf wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 47 EU-Grundrechte-Charta.
Dabei treffe den Inhaber einer Unionsmarke keine Verpflichtung, ein Kennzeichnungssystem einzuführen, durch das auch Dritte feststellen können, welche Waren für den Vertrieb im EWR bestimmt sind. Dies würde die Möglichkeit für Markeninhaber, den Bestimmungsmarkt einer Ware kurzfristig zu ändern, unangemessen einschränken. Auch den Zugang zu internen Datenbanken habe der Markeninhaber nicht zu gewähren.
Vage Andeutung des EuGH: Anpassung der Beweislast?
Es könne allerdings eine Modifizierung der Beweislast geboten sein, wenn die übliche Beweislastregel eine Martkabschottung fördern könnte. Diese Gefahr besteht, da die Beweislast der Erschöpfung denjenigen trifft, der sich auf sie beruft; hier also den Beklagten. Da der Beklagte aber, wie bereits festgestellt, kaum eigene Erkenntnismöglichkeiten hat und der Markeninhaber keine Informationen offenlegen muss, gelingt ihm dieser Beweis, je nach Sachverhalt, nur schwer.
In diesem Fall soll eine Anpassung der Beweislast greifen. Wie die Beweislast angepasst wird, z.B. eine Beweiserleichterung oder Beweislastumkehr, konkretisierte der EuGH jedoch nicht.