Liefern Sie die Ware oder ich zeige Sie an! Die Nötigung zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche (Chantage)
Zur Durchsetzung seiner – vermeintlichen oder bestehenden – Ansprüche kommt so mancher auf interessante Ideen. Bei weitem nicht alles ist rechtlich zulässig.
Der ein oder andere, der z. B. einen Zahlungsanspruch aus einem Kaufvertrag hat, hält es für eine großartige Idee, dem Käufer bzw. im Fall der Rückabwicklung dem Verkäufer mit einer Strafanzeige wegen Betrugs zu drohen.
Wir erleben es immer wieder, dass dies sowohl Privatleuten passiert, die ihren alten Fernseher für unter 60 € verkaufen (Vorwurf: Der noch bei Abholung durch den Käufer als funktionierend begutachtete Fernseher sei defekt gewesen) als auch gewerblichen Händlern, letzteren oft im Zuge einer Rückabwicklung. Da ist sich mancher nicht zu schade, für einen ihm angeblich zustehenden Betrag von 2,50 € Versandkosten (Kaufpreis war zurückgezahlt worden) die Staatsanwaltschaft zu bemühen, oder, wenn er nicht die gewünschte Lieferung oder Rückzahlung innerhalb einer oft unerfüllbar kurzen Frist erhält, eine – wie sich einmal ein solcher Kunde ausdrückte – „Anzeige zu schalten“.
Dabei handelt es sich nicht, wie der Sprachgebrauch verharmlost, um eine harmlose Kleinanzeige, die man – auch das liest man häufiger – „wieder zurücknehmen“ kann bei Erfüllung der Forderung, sondern eine Strafanzeige, die handfeste Folgen für den Betroffenen hat.
Das Landgericht Köln (LG Köln, Urteil v. 16.9.2009, Az. 28 O 457/09) hatte über die Zulässigkeit einer anderen Drohung zu entscheiden.
Dem Verfügungsgegner war es per einstweiliger Verfügung verboten worden,
„dem Antragsteller damit zu drohen, die Kollegen der Finanzverwaltung NRW in seiner Funktion als Sachgebietsleiter in der Steuerverwaltung Rheinland-Pfalz zu kontaktieren, wenn der Antragsteller dem Antragsgegner den bestellten Fernseher nicht bis zum 15.07.2009 liefere.“
Der Antragsgegner hatte ein Fernseher bestellt. Als bei dessen Lieferung eine Verzögerung eintrat, schickte er an den Antragsteller eine Email, in welchem er einen abenteuerlichen 6-Stufen-Plan ankündigte. Eine der Stufen ist oben wiedergegeben.
Entscheidend ist die Frage, ob ein solches Verhalten eine Nötigung gemäß § 240 StGB darstellt. Der Tatbestand der Nötigung ist sehr weit gefaßt. Eine Drohung mit einem empfindlichen Übel, um damit eine Handlung zu erreichen, kann alles mögliche sein. Daher sieht der Tatbestand vor, daß diese Drohung auch „rechtswidrig“ sein muß, § 240 Abs. 2.
Der BGH führt dazu in seiner Entscheidung vom 19. April 2005–X ZR 15/04 aus:
„Die Widerrechtlichkeit einer Drohung kann sich aus dem angedrohten Mittel, dem erstrebten Zweck oder der Inadäquanz von Zweck und Mittel (Zweck/Mittel-Relation) ergeben.“
Er zeigt sich dabei recht großzügig, was die Androhung von Rechten und Rechtsbehelfen angeht, und dies selbst dann, wenn das behauptete Recht nicht besteht, der Drohende jedoch an dessen Bestehen glaubt oder ein berechtigtes Interesse verfolgt.
Vorliegend lag der Fall jedoch anders, da der Antragsgegner nicht auf die Drohung mit herkömmlichen zivil- und strafrechtlichen Schritten beschränkt hatte, sondern damit drohte, den Antragssteller in seiner Funktion als Finanzbeamter bei den Kollegen in NRW „anzuschwärzen“. Bereits die angekündigte Anschwärzung stellt ein empfindliches Übel dar.
Eine Drohung ist nämlich dann widerrechtlich, wenn Mittel und Zweck zwar für sich allein betrachtet nicht rechtswidrig sind, ihre Verbindung aber – die Benutzung dieses Mittels zu diesem Zweck – gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden oder gegen Treu und Glauben verstößt, das heißt wenn die Drohung kein angemessenes Mittel zur Erreichung des erstrebten Erfolgs ist (ständige Rechtsprechung. des BGH, NJW 1982, 2301).
So lag der Fall hier. Denn die Erzwingung des grundsätzlich legitimen Zwecks, die Lieferung eines bestellten und bezahlten Fernsehers mit dem Mittel, seine Stellung als Beamter auszunutzen, den Antragsteller wegen eines völlig fremden Sachverhalts bei seinen Kollegen in der Steuerverwaltung anzuschwärzen, war missbilligenswert.
Das Landgericht Köln hat dementsprechend seine Verfügung mit folgender Begründung bestätigt (Auszug):
„Es handelt sich bei der streitgegenständlichen Äußerung auch um eine Nötigungshandlung i. S. d. § 240 StGB. Das Verhalten des Verfügungsbeklagten stellt sich als verwerflich dar. Die Verwerflichkeit der streitgegenständlichen Äußerungen kann sich bei Durchsetzung eines vermeintlichen Lieferungsanspruchs dabei aus dem grundsätzlichen Vorrang staatlicher Zwangsmittel ergeben. Wenn staatliche Hilfe rechtzeitig erreichbar ist, hat der Betroffene grundsätzlich die Polizei herbeizuholen oder den Rechtsweg zu beschreiben; greift er trotzdem oder darüber hinaus zur Selbsthilfe, um die (vermeintliche) Gesetzestreue anderer zu erzwingen, so ist sein Verhalten als verwerflich einzustufen.“
„Umgekehrt wird aber die Widerrechtlichkeit der Nötigung nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass das Nötigungsmittel als solches erlaubt ist. Denn dass man zur Vornahme einer bestimmten Handlung berechtigt ist, wie z. B. einer Anzeige bei der Finanzverwaltung, bedeutet nicht, dass man damit zum Zwecke der Nötigung einem anderen ohne weiteres drohen darf. Dies jedenfalls dann nicht, wenn eine Inadäquanz zwischen der Drohung und dem erstrebten Zweck besteht (vgl. Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl., § 240 Rn 19 a f. m. w. N.; § 253 Rn. 4 zur sog. „Chantage“).
So liegt es hier, da der Verfügungsbeklagte den Rechtsweg hätte beschreiten können. (…)“
Für die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche stehen verschiedene Mittel auf dem Rechtsweg zur Verfügung. Widerrechtliche Drohungen gehören nicht dazu.
Offenlegung: Unsere Kanzlei hat den Antragsteller vertreten.