Aquavit mit Äquatorreife – Irreführung nicht wettbewerbserheblich
Das Urteil ist zwar schon etwas älter, aber durchaus nicht veraltet, denn es wird immer noch in der einschlägigen Literatur zum Wettbewerbsrecht zitiert, um die Relevanz der Irreführung aus § 5 Abs. 1 UWG zu erläutern (Gero Himmelreich, Beck´sches Mandatshandbuch, Wettbewerbsrecht, 3. Auflage 2009 , S. 81, Rn. 244).
Man stelle sich einen feuchtfröhlichen Abend vor, ein Freundeskreis sitzt in einer Kneipe und ein Freund gibt eine Runde aus. Bestellt wird der Linie-Aquavit und stolz präsentiert der Freund sein Wissen: “Wisst ihr, warum dieser Aquavit Linie heißt? Der ist nämlich über den ganzen Äquator gereist!“ Manche geben sich beeindruckt, anderen ist es egal, was sie gerade trinken und wie es hergestellt wurde.
Wie der Freund darauf kommen mag? Auf der Flasche steht, dass der Aquavit „Äquator-Reife“ besitze.
Das BGH-Urteil zum Aquavit
Tatsächlich gehört die Reise des Aquavits zu dem feststehenden Tatbestand des BGH-Urteils vom 29.05.1991 – I ZR 204/89:
„Die Bekl. vertreibt in der Bundesrepublik Deutschland einen Aquavit unter der Bezeichnung “Linie-Aquavit”. Sie wirbt damit, dass ihr Produkt eine “Äquator-Reife” erfahren habe, da es in Sherry-Fässern in monatelanger Schiffsfahrt zweimal den Äquator passiert habe. Während des Transports weist der Aquavit eine Alkoholkonzentration von zwischen 60 und 70 % auf. Im Anschluss an die Reise wird durch Zugabe von destilliertem Wasser der Alkoholgehalt auf 41,5 % reduziert.“
Was hatte der Kläger dann zu beanstanden? Der Kläger war der Ansicht, dass die auf dem Flaschenetikett enthaltene Werbeaussage zu der “Äquator-Reife” irreführend sei. Sie vermittle dem Verbraucher die unrichtige Vorstellung, das trinkfertige Produkt, wie es in der Flasche angeboten werde, habe die Äquatorlinie zweimal überquert und diese Vorstellung sei von wettbewerbsrechtlicher Relevanz.
Der BGH folgte der Ansicht nicht. Überprüfen Sie gedanklich, wie Sie die Anekdote des Freundes in der Kneipe verstanden hätten!
Seit wann reift Alkohol in Flaschen?
Zunächst stellte der BGH mittels eines Sachverständigen fest, dass sowohl das hochkonzentrierte Vorprodukt als auch das trinkfähige Endprodukt ein Aquavit sei. Die Bezeichnung des Getränks als Aquavit sei daher nicht irreführend.
Irreführend könne aber eine objektiv richtige Werbeaussage sein, wenn der Verkehr, für welchen sie bestimmt ist, ihr etwas Unrichtiges entnimmt und dadurch eine Fehlvorstellung geweckt werde. Das heißt, auch wenn die Werbeaussage stimmt, der Aquavit Linie besitze die „Äquator-Reife“, kann diese Aussage dennoch irreführend sein, wenn der Verbraucher dadurch die Fehlvorstellung erhält, das fertige Endprodukt habe in einer Flasche den Äquator überquert.
Vorliegend sei die Irreführung jedoch nicht wettbewerbsrechtlich relevant, weil sie den Kaufentschluss des Käufers nicht beeinflusse.
Zur Begründung führte der BGH aus:
„Soweit die Verbraucher mit ihrer Fehlvorstellung keine besondere Produkteigenschaft verbinden, sondern lediglich eine unrichtige Vorstellung von dem tatsächlichen Geschehensablauf bei der Reifung der Spirituose haben, liegt eine rechtlich beachtliche Irreführung über die Herstellungsart der Ware i. S. des § 3 UWG schon deswegen nicht vor, weil eine solche Vorstellung nicht geeignet ist, den Kaufentschluss des Verbrauchers maßgeblich zu beeinflussen.“
Um dies kurz zusammen zu fassen: Stellt sich der Verbraucher vor, der Aquavit reife in der Flasche und werde mit dieser über den Äquator geschifft, so ist diese Fehlvorstellung nicht geeignet, den Verbraucher bei dem Kauf der Flasche zu beeinflussen. Oder noch kürzer: Dem Verbraucher ist es egal, ob der Aquavit in verdünnter Form über den Äquator geschifft wurde, oder ob er in einem Fass in der ursprünglichen Konzentration darüber fuhr.
Weiter begründete der BGH seine Entscheidung:
„Soweit die Verbraucher zugleich annehmen, das äquatorgereifte Fertigprodukt sei von besonderer Qualität, beruht diese irrtümliche Vorstellung auf der mangelnden Kenntnis, dass allein bei der Lagerung eines hochprozentigen Destillats, nicht aber einer solchen des Endprodukts, eine Spirituose von höherer Qualität gewonnen wird.“
Mit anderen Worten: Der Verbraucher, der denkt ein Endprodukt könne durch die Fahrt über den Äquator eine höhere Qualität erfahren, ist selber schuld, wenn er es deswegen kauft. (jr)
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