BGH: Kein Anspruch auf Geldentschädigung für Datenverarbeitungen zu journalistischen Zwecken
Artikel 82 Abs. 1 der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) spricht jeder Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, einen Anspruch auf Schadensersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter zu.
Grundsätzlich kommt als Verletzungshandlung nach dem Wortlaut der Regelung jeder Verstoß gegen die Verordnung in Betracht.
Allerdings nicht immer.
„Zeugen gesucht!“
Angefangen hatte alles mit dem G20-Gipfel in Hamburg Anfang Juli 2017. Anlässlich dieser Veranstaltung kam es nicht nur zu Demonstrationen, sondern auch zu erheblichen Krawallen, in deren Rahmen eine Vielzahl an Straftaten begangen wurden. Darunter auch die Plünderung verschiedener Geschäfte. Diese Krawalle waren Gegenstand umfangreicher Berichterstattung – auch im Nachgang.
Auch die Beklagte, Verlegerin einer Zeitung, berichtete über die Ausschreitungen. In einem der veröffentlichten Artikel hieß es „Zeugen gesucht! Bitte wenden Sie sich an die Polizei“. Der Artikel befasste sich mit den Protesten an sich, den Schwerkriminellen, die diese unterstützen und dem Vandalismus an diesen Tagen. Durch die Berichterstattung verfolgt die Zeitung das Ziel, die Polizei bei der Suche nach den entsprechenden Personen zu unterstützen und fragte: „Wer kennt die Personen auf diesen Bildern? Sie sind dringend verdächtig, schwere Straftaten beim G20-Gipfel begangen zu haben.“
Auf zweien der Bildnisse wird eine Frau vor einer geplünderten Filiale eines Drogeriemarktes gezeigt. Die Frau forderte, nachdem die Berichterstattung vom LG Frankfurt untersagt worden war, die Beklagte erfolglos zur Zahlung einer Geldentschädigung auf. Das Landgericht Köln (LG Köln, Urteil v. 03.07.2019, Az. 28 O 191/18) sprach der Klägerin sodann eine Geldentschädigung zu, um der Beklagten vor Augen zu führen, dass sie bei der Errichtung eines öffentlichen Medienprangers die Grenzen der Pressefreiheit gravierend überschritten hatte.
BGH: Kein Anspruch auf Geldentschädigung
Damit war das Ende aber noch nicht in Sicht. Der Fall ging bis vor den Bundesgerichtshof und dieser entschied dann: Es besteht kein Anspruch auf Geldentschädigung aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO für Datenverarbeitungen zu journalistischen Zwecken für Verstöße gegen Art. 6 und Art. 7 DSGVO (BGH, Beschluss v. 16.02.2021, Az. VI ZA 6/20).
Ein Anspruch aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO könne im vorliegenden Zusammenhang schon deshalb nicht bestehen, weil aufgrund der Öffnungsklausel des Art. 85 DSGVO Datenverarbeitungen zu journalistischen Zwecken von den die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung betreffenden Vorschriften in Art. 6 und Art. 7 DSGVO durch nationale Regelungen ausgenommen worden sind. Grundsätzlich würde sich zwar die Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung der Bilder nach Art. 6 und Art. 7 DSGVO richten, wonach eine Verarbeitung nur rechtmäßig ist, wenn mindestens eine der aufgelisteten Bedingungen erfüllt ist. Darunter beispielsweise die Einwilligung der betroffenen Person zu der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten für einen oder mehrere bestimmte Zwecke. Allerdings besagt die Öffnungsklausel des Art. 85 DSGVO gerade, dass Datenverarbeitungen zu journalistischen Zwecken durch die Anbieter von Telemedien von diesen Vorschriften durch nationale Regelungen ausgenommen werden.
Denn neben den in Abs. 1 normierten Auftrag an die Mitgliedsstaaten, den Datenschutz einerseits sowie den Schutz von Meinungsäußerungsfreiheit, Informationsfreiheit und Kunst- und Wissenschaftsfreiheit andererseits durch Rechtsvorschriften in einen Ausgleich zu bringen, enthält Abs. 2 eine allgemeine Öffnungsklausel gegenüber zahlreichen Bestimmungen der DSGVO. Die Mitgliedsstaaten werden verpflichtet, zum Schutz der Meinungs- und Informationsfreiheit Abweichungen und Ausnahmen von Datenschutzbestimmungen der Verordnung und damit Privilegien zu erhalten beziehungsweise zu schaffen. Aus diesem Grund stehe der Anwendbarkeit der §§ 22, 23 des Kunsturhebergesetzes (KUG) im journalistischen Bereich nichts entgegen. Vielmehr seien die §§ 22 und 23 KUG im Hinblick auf die Beurteilung der Zulässigkeit von Bildveröffentlichungen im journalistischen Bereich als die die Öffnungsklausel des Art. 85 DSGVO auszufüllenden Gesetze anzusehen (Wir berichteten ausführlich am 20.10.20).
Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung richtet sich nach nationalen Vorschriften
Der Beschluss des Bundesgerichtshofes zeigt, dass in rechtlicher Hinsicht für den DSGVO-Schadensersatz strenge Anforderungen gelten, die längst nicht immer erfüllt sind. Vor allem könne ein Anspruch aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO dann nicht bestehen, wenn aufgrund der Öffnungsklausel des Art. 85 DSGVO Datenverarbeitungen zu journalistischen Zwecken von den die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung betreffenden Vorschriften in Art. 6 und Art. 7 DSGVO durch nationale Regelungen ausgenommen worden sind.
Zwar steht die DSGVO ganz oben in der Normenhierarchie und unter ihr stehen die unionsrechtlichen und mitgliedsstaatlichen Gesetze und Rechtsordnungen. Allerdings bedeutet das trotzdem: Deutsche Gesetze, die die DSGVO konkretisieren, ergänzen oder modifizieren sind immer vorrangig zu beachten. Also sind die mitgliedsstaatlichen Regelungen zur Ausfüllung der Öffnungsklausen stets vorrangig zu befolgen.