Der rote Punkt, oder: Schadensersatz wegen Verletzung des Datenschutzes durch Reha-Einrichtung
Zu den sensibelsten Daten zählen die, welche den Gesundheitszustand betreffen. Diese Daten gehen grundsätzlich nur den Patienten selbst und die mit seiner Behandlung beauftragten Personen etwas an. Eine Offenlegung – auch in unspezifischer Form, auch mit den besten Absichten – ist eine Datenschutzverletzung, deren „immaterieller Schaden“ gemäß Art. 82 Abs. 1 DSGVO ersatzpflichtig ist.
Mit HIV in der Reha
Im vorliegenen Fall geht es um den Patienten einer Reha-Einrichtung, der dort eine akute Krankheit auskurierte. Der Patient ist HIV-infiziert, befindet sich jedoch in Behandlung und ist im kliniküblichen Umgang nicht ansteckend. In der Reha-Einrichtung war er wegen einer ganz anderen Sache, dennoch spielte seine HIV-Infektion eine Rolle. Das für sich genommen ist nicht das Problem, schließlich haben die Ärzteschaft und das Pflegepersonal ein Recht auf Kenntnis der Krankheitsgeschichte eines Patienten, um adäquat behandeln zu können. Doch muss die Informationsweitergabe unter Beachtung des Datenschutzes geschehen. Und das war hier gerade nicht so. Denn der Patient musste zur Kenntnis nehmen, dass ein roter Punkt an seiner Zimmertür klebte – deutlich sichtbar für alle. Zudem befand sich eine solche Markierung außen auf der Krankenakte und auf dem Röhrchen bei einer Blutabnahme. Das wollte der Patient nicht hinnehmen und klagte auf Schadensersatz.
LG Berlin: Ersatz des immateriellen Schadens geboten
Nachdem AG Charlottenburg die Klage des Patienten noch abgewiesen hatte, signalisierte das LG Berlin im Berufungsverfahren, dass es einen Schadensersatz in Höhe von 1200 Euro aufgrund der erfolgten Datenschutzverletzung für angemessen hält und schlug einen entsprechenden Vergleich der Parteien vor, dem diese in der Folge auch zustimmten (Beschluss v. 18.7.2022 – Az.: 35 S 4/22). Damit wandte sich das LG Berlin nicht nur gegen das Urteil der Vorinstanz, sondern auch gegen den Thüringischen Landesdatenschutzbeauftragten, der unverständlicherweise im Fall des roten Punktes keinen Datenschutzverstoß erkennen konnte.
Offene Kennzeichnung unnötig, ungeeignet und unzulässig
Das LG Berlin zog bereits die generelle Kennzeichnung von mit dem HI-Virus Infizierten im Rahmen einfacher Behandlungsmaßnahmen in Zweifel; das renommierte Robert-Koch-Institut hält eine solche nicht für nötig, empfiehlt lediglich die routinemäßig ohnehin erforderlichen Hygienemaßnahmen. Im speziellen Fall weist es das Argument des Einrichtungsbetreibers zurück, der rote Punkt an der Tür weise auf ganz unterschiedliche Infektionskrankheiten hin und sei damit keine Stigmatisierung von HIV-Infizierten, indem es darauf hinweist, dass die Kennzeichnung dann jeden Sinn entbehre, denn unterschiedliche Infektionskrankheiten „erfordern ganz unterschiedliche Maßnahmen im Klinikbetrieb, so dass eine einheitliche Kennzeichnung mit einem roten Punkt ungeeignet ist, dem Klinikpersonal eine zutreffende Entscheidungsgrundlage für die anzuwendenden richtigen Maßnahmen zu liefern“. Dass die Kennzeichnung ersichtlich war für alle, also auch für gar nicht mit der Behandlung befasste Personen, weil sie außen an Zimmertür und Personalakte angebracht war, macht die Sache zudem datenschutzrechtlich unzulässig – eine Kennzeichnung in der Patientenakte hätte völlig ausgereicht, um Ärzteschaft und Pflegekräfte über die HIV-Infektion zu informieren.
Anerkennung des Schadens, Erinnerung an Datenschutz
Für den Patienten bedeuten die Klarstellungen und der Hinweis des LG Berlin, der zum Vergleich der Parteien führte, eine Anerkennung des immateriellen Schadens, den er in der Reha-Klinik erlitten hat. Und für den Klinikbetreiber eine deutliche Erinnerung an die datenschutzrechtlichen Obliegenheiten im Gesundheitswesen.
Der Beitrag stammt von unserem freien Autor Josef Bordat. Er ist Teil unserer Reihe “Berichte aus der Parallelwelt”. Dort werfen Autoren aus anderen Fachbereichen einen Blick auf die Rechtswissenschaft in Theorie und Praxis. Die Beiträge betrachten, anders als unsere sonstigen Fachbeiträge Begebenheiten und Rechtsfälle daher auch nicht juristisch, sondern aus einem völlig anderen Blickwinkel. Aus welchem, das soll der Beurteilung der Leser überlassen bleiben. Interessant wird es, wie wir meinen, allemal.