Ein urheberrechtlicher Krimi und sein Ausgang („Tannöd“)
Ein Einödhof Mitte der 50er Jahre in Bayern. Eigentlich ist alles wie immer, doch dann wird eine sechsköpfige Familie auf dem Hof erschlagen. Sechsfacher Mord.
Dies ist die Ausgangssituation des Romans „Tannöd“, welcher in Mosaikstücken die Ermittlungen zu den Mordfällen erzählt. A propos Mosaikstücke: Die Autorin des Romans, Andrea Maria Schenkel, wurde vom Autor Peter Leuschner mit dem Vorwurf konfrontiert, dass sie in ihren Roman Teile seiner Publikationen über das Verbrechen übernommen hätte und damit ein Urheberrechtsverstoß in Bezug auf die Werke von Autor Leuschner vorläge.
Dem Roman liegt ein wahres Ereignis zugrunde, nämlich ein sechsfacher Mord, der sich 1922 in der oberbayerischen Einöde Hinterkaifeck ereignete. Diese wahre Begebenheit wurde 1978 und 1997 ebenfalls von dem Autor Peter Leuschner in zwei Büchern bearbeitet. Der Autor erkannte – wie erwähnt – Teile seiner Bearbeitung im Roman „Tannöd“ wieder, weshalb er im April 2007 eine Klage gegen die Autorin Schenkel wegen Plagiatsvorwurf beim Landgericht München einreichte. Der Klage wurde durch Urteil vom 21. Mai 2008 nicht stattgegeben, weshalb der vermeintlich in seinen Rechten Verletzte Berufung einlegte.
Das Oberlandesgericht München hat nunmehr diese Berufung des Klägers mit Urteil vom 12. November 2009 als unbegründet zurückgewiesen (Az.: 6 U 3595/08; Veröffentlichung in ZUM oder ZUM-RD folgt) und damit das Urteil des Landgerichts München I bestätigt. Das Landgericht hatte zur Begründung angeführt, die Idee, ein bestimmtes Thema in einem Roman zu behandeln, sei für sich genommen nicht schutzfähig. Gleiches sollte für das inhaltliche Gerüst gelten, das sich bei Schilderung historischer Ereignisse aus dem Geschehensablauf ergebe, der überliefert oder in Zeitungsberichten wiedergegeben worden ist (vgl. ZUM 2008, 709). Entscheidend im bestätigenden Urteil des OLG München bleibt die Tatsache, dass für den Roman Tannöd auf ein historisches Vorbild und nicht auf eine persönliche geistige Schöpfung des Autors Leuschner zurückgegriffen wurde.
Gerade durch den sehr eigentümlichen Schreibstil der Autorin Schenkel, welche in 39 kurzen Abschnitten die Perspektiven der Opfer, der befragten Zeugen und des Täters miteinander verknüpft und dadurch eine temporeiche Montage von Interviews und erzählenden Passagen geschaffen hat, liegt im Ergebnis ein urheberrechtlich geschütztes Werk der beklagten Autorin vor. Die persönliche geistige Schöpfung von Frau Schenkel wird auch dadurch deutlich, dass sie Ihr Geisteswerk durch knappe, dokumentarische und dinghafte Sprache unterstützt, in der fast vollständig auf Metaphern verzichtet wird. Mundartliche Formulierungen werden zu Zwecken der Distanzierung von der Autorin in Anführungsstriche gesetzt.
All diese „Eigenartigkeiten“ sprechen deutlich für eine eigenständige Urheberschaft von Frau Schenkel, weshalb ihr neben dem naturrechtlichen Gebot des „suum cuique“, welches ihr die Herrschaft über ihr Geisteswerk vermittelt, auch ein weiteres wertvolles Mittel an die Hand gegeben wird, nämlich die Möglichkeit im Rechtsverkehr einen gerechten Lohn für ihre schöpferischen Leistungen zu erzielen (Vgl. BGHZ 17, 266, 278). Und nicht andersherum. Sonst wäre ja auch der Gärtner nicht mehr der Mörder, sondern am Ende doch der ermordete Hausherr. Das kann nicht sein.
Der Erfolg gibt Frau Schenkel Recht. Ihr Werk „Tannöd“ wurde über eine halbe Millionen mal verkauft. Die Verkaufszahl in Bezug auf die Werke des Autors Leuschner liegen uns nicht vor. Vielleicht liegt hier der Hund begraben. (ha)