Entscheidet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Sachen spickmich.de?
Vorgestern hatten wir darauf hingewiesen, dass das vielbeachtete Thema „spickmich.de“ mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, die Beschwerde der Lehrerin nicht zur Entscheidung anzunehmen, mit Nichten, wie vielerorts, zum Beispiel hier und hier verbreitet wird, zu Ende sein muss. Denn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) könnte noch angerufen werden.
Wie ein Wink des Schicksals las sich daher die bei den Kollegen Reuters aus dem Arbeitsrecht veröffentlichte Meldung, dass eben dieser EGMR das Bundesarbeitsgericht in einer arbeitsrechtlich geprägten Entscheidung aufgehoben und festgestellt hat, dass die bisherigen Gerichtsentscheidungen eine Verletzung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) des Klägers darstellen. Auch dort hatte das angerufene Bundesverfassungsgericht die Beschwerde, wie im „spickmich.de“-Fall gar nicht erst zur Entscheidung angenommen.
Nicht, dass spickmich.de in tatsächlicher Hinsicht von besonderem Interesse wäre oder das Persönlichkeitsrecht von Lehrern dort ganz besonders „mit Füßen getreten“ würde. Die „spickmich.de“-Entscheidung eignet sich jedoch dazu, die bisherige deutsche Rechtsprechung zu den neuen Medien einer Überprüfung zu unterziehen. Es scheint sich nämlich die Auffassung durchgesetzt zu haben, dass alles was wahr oder „Meinung“ ist, auch immer im Internet veröffentlicht werden darf. Und nicht nur das. Sogar kommerzielle Anbieter sollen das dürfen und noch nicht einmal Prüfungspflichten unterliegen, weil sonst das Geschäftsmodell (mit dem Unternehmen wie Google, facebook, eBay, Youtube, etc. unter Verwendung fast ausschließlich fremder Daten und Inhalte Milliarden verdienen; die Idee von spickmich.de ist mit Sicherheit auch nicht von bloßem Altruismus getragen) in Frage stehe.
Mich stört – und das könnte der EGMR auch so sehen -, dass hier Interessen eines kommerziellen Anbieters zu Unrecht über die Interessen einer „Privat“-Person, mag diese auch in ihrer Sozialsphäre in Erscheinung getreten sein, gestellt werden. Noch mehr stört mich, dass diese Art Entscheidungen so zahlreich beklatscht werden, während man zum Beispiel beim Stichwort Vorratsdatenspeicherung den Untergang der Demokratie befürchtet. Den Maßnahmen bzw. Entscheidungen in beiden Bereichen liegt mE der gleiche Irrtum zugrunde. Nämlich, dass das, was technisch geht, auch erlaubt sein muss.
Diesem Irrtum unterliegt offenbar auch der BGH. Denn das Konzept von spickmich.de verstößt gegen das Bundesdatenschutzgesetz. Dass dies gegen den Wortlaut des BDSG verstößt, räumt dieser sogar ein. Er wendet aber die entsprechende Vorschrift einfach nicht an, da diese vor dem Hintergrund der Meinungsfreiheit verfassungskonform auszulegen sei.
Der Wertungswiderspruch zwischen Datenschutz und Kommunikationsfreiheit, den der BGH meint, beseitigen zu müssen, exisitert jedoch bei näherem Hinsehen gar nicht. Denn die Regelungen des auch in der Entscheidung „spickmich.de“ relevanten § 29 BDSG betreffen den Fall, in dem Daten den Geschäftsgegenstand des Erhebenden bilden. Danach erlaubt der Gesetzgeber zwar, dass nicht der Betroffene, sondern andere mit „seinen“ Daten Geschäfte machen. Dies vor dem Hinergrund der kommerziellen Interessen aber eben auch nur unter den in § 29 BDSG geregelten Bedingungen. Insoweit ist zu beachten, dass das BDSG von der Grundvorstellung ausgeht, dass durch die Erhebung, Speicherung oder jede sonstige Verarbeitung personenbezogener Daten in das gem. § 1 Abs. 1 zu schützende Persönlichkeitsrecht eingegriffen wird. Nur hieraus ist das in § 4 Abs. 1 statuierte Verbot mit Erlaubnisvorbehalt zu erklären.
Die Wertung des Gesetztgebers ist folglich, dass Geschäftsinteressen im Zweifel hinter dem Persönlichkeitsrecht des Einzelnen zurückzustehen haben.
Gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 darf für die Erhebung der Daten kein Grund zu der Annahme bestehen, dass der Betroffene ein schutzwürdiges Interesse an dem Ausschluss der Erhebung, Speicherung oder Veränderung hat. Die beiderseitigen Interessen sind in Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips abzuwägen, wobei im Falle des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 dem Interesse des Betroffenen bereits Rechnung zu tragen ist, wenn beide Interessen gleichrangig sind. Das Persönlichkeitsrecht muss also nicht, wie sonst, überwiegen, sondern nur gleichrangig sein, damit bereits die Datenerhebung unzulässig ist.
An dieser Stelle nimmt der BGH in seiner Entscheidung eine umfangreiche Abwägung vor, deren Ergebnis vielleicht noch so oder so ausfallen kann.
Selbst, wenn der Speicherung der Daten noch kein schutzwürdiges Interesse des Betroffenen entgegensteht, stellt sich aber immer noch die Frage der Zulässigkeit der Übermittlung der Daten. Deren Zulässigkeit bestimmt sich nach § 29 Abs. 2 Nr. 1 BDSG danach, ob der Dritte, dem die Daten übermittelt werden, ein berechtigtes Interesse an ihrer Kenntnis glaubhaft dargelegt hat und kein Grund zu der Annahme besteht, dass der Betroffene ein schutzwürdiges Interesse an dem Ausschluss der Übermittlung hat.
Mit der Forderung eines berechtigten Interesses an der Übermittlung der Daten hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass auch rechtmäßig gesammelte Daten nicht wahllos verbeitet werden dürfen. Dies besonders natürlich dann, wenn diese im weltweit und allzeit erreichbaren Internet geschieht.
Diese Voraussetzung wischt der BGH vereinfacht gesagt mit der Behauptung weg, dass der Gesetzgeber bei Schaffung der Vorschriften im Jahr 1991 noch nicht wissen konnte, dass ein durch Portalbetreiber organisierter Informationsaustausch im Internet technisch möglich sein würde. Diese seien daher anzupassen.
Spätestens hier geht der BGH zu weit, wenn er Vorschriften einfach den praktischen Gegebenheiten anpasst, ganz nach dem Motto: Was jeder macht, darf doch nicht verboten sein. Nur weil der Gesetzgeber damals evtl. nicht für möglich hielt, dass heutzutage jeder, der einen Internetanschluss hat, jeden weltweit im Internet zur Schau stellen kann, heißt das noch lange nicht, dass er ein solches Verhalten für zulässig gehalten hätte. Im Gegenteil. So hat der Gesetzgeber in § 29 Abs. 2 Nr. 1 BDSG gerade mit der Forderung eines berechtigten Interesses des Empfängers an der Kenntnis der zu übermittelnden Daten zum Ausdruck gebracht, dass personenbezogene Daten (wohlgemerkt durch Dritte und geschäftsmäßig) eben nicht – wie heutzutage über das Internet – immer und allen zugänglich sein sollen, sondern nur im Einzelfall und bei Vorliegen berechtigter Interessen des jeweiligen Empfängers übermittelt werden dürfen.
Der Kommentar zum BDSG führt dazu aus:
„Je nach der Zweckbestimmung eines Auskunftssystems ist der Empfängerkreis von vorneherein so festzulegen, dass hierzu nur solche gehören, bei denen ein solches Interesse vorliegen kann. So dürfen aus einem Kreditinformationssystem keine Auskünfte an Arbeitgeber zwecks Überprüfung der finanziellen Situation eines Bewerbers oder Arbeitnehmers erfolgen.“ (Gola/Schomerus, Bundesdatenschutzgesetz, 10. Auflage 2010, Rn. 25)
Eine geschäftliche Veröffentlichung von personenbezogenen Daten im Internet ist somit nach dem geltenden Datenschutzrecht (abgesehen vom Veröffentlichungen im Rahmen des Medienprivilegs, das aber vorliegend vom BGH als nicht einschlägig beurteilt wurde) unzulässig.
Die Lösung des BGH widerspricht demnach schlicht und ergreifend der geltenden Rechtslage. Der Versuch des BGH, diesen Widerspruch zu rechtfertigen, scheitert schon im Ansatz.
Der Senat erwägt nämlich nur, ob eine Datenübermittlung der vorliegenden Art nach dem Wortlaut des § 29 BDSG unzulässig könnte, weil sie anonymisiert erfolgt und es deshalb an einer Darlegung des berechtigten Interesse fehlt. Problem der Verbreitung der Daten über das Internet ist indes nicht (nur) dass die Datenempfänger, also die Internetnutzer, anonym agieren und sie deshalb ihr berechtigtes Interesse nicht darlegen können, bzw. dass dies durch den Veröffentlichenden nicht geprüft werden kann. Sondern die Art und Weise der Veröffentlichung, die diese Überprüfung schlicht unmöglich macht, da sie sich unreflektiert an alle wendet. Dann aber darf die Art der Verröffentlichung eben nicht gewählt werden.
Mit dem Argument des BGH könnte eine herkömmliche Auksunftei alle Daten im Internet (oder auf das Jahr der Entstehung des BDSG 1991 gemünzt: in der Tageszeitung) veröffentlichen und sich dann gegen den Vorwurf des Verstoßes gegen § 29 Abs. 2 Nr. 1 BDSG darauf zurückziehen, dass aufgrund der Natur des Mediums gar nicht nachvollziehbar sei, wer die Daten zur Kenntnis nehme und daher auch die Kontrolle des berechtigten Interesses nicht möglich sei. Daher müsse auch die Übermittlung im Internet erlaubt sein, sonst wäre diese ja gar nicht durchführbar (weil illegal). Ein klassischer Zirkelschluss.
Wenn der Gesetzgeber meint, dass der technische Fortschritt sich auch in einer Lockerung der Gesetze niederschlagen soll, kann er die entsprechenden Vorschriften ändern. Bis dahin müssen sich alle daran halten. Auch der BGH.
Erschwerend hinzukommt, und das hat der BGH mE schlicht übersehen, dass „spickmich.de“ sich nicht in der bloßen Bereitstellung eines Meinungsforums erschöpft, sondern die „gesammelten“ Daten so aufbereitet und verknüpft, dass jeder Lehrer ein eigenes Profil erhält und mit einer Gesamtnote bewertet wird.
Datenschutzrechtlich stellt das Verknüpfen von aus mehreren Quellen stammenden personenbezogenen Daten und die Übermittlung der so zusammengefassten Daten an Dritte eine Veränderung nach Maßgabe der Definition des § 3 Abs. 4 Nr. 2 BDSG dar. Ist Art und Umfang der zusammengeführten Daten derart, dass ein Persönlichkeitsprofil des Betroffenen oder ein Teilabbild hiervon entsteht – kann die Verarbeitung sogar gänzlich unzulässig sein. (Gola/Schomerus, Bundesdatenschutzgesetz, 10. Auflage 2010, Rn. 18)
Es ist nicht einzusehen, weshalb unbeschränkte Bonitätsauskünfte im Internet unzulässig sind, bei denen es sich um Daten eines am wirtschaftsleben teilnehmenden Unternehmens handelt, es aber zulässig sein soll, ein ganzes Persönlichkeitsbild einer „Privatperson“ in ihrem beruflichen Wirken zu zeigen. Denn, mögen die einzelnen „Meinungen“ bei spickmich.de auch zulässig sein, so ist das Portal als Ganzes doch darauf angelegt, aus der Zusammenstellung der einzelnen Meinungen eben ein Gesamtbild eines Lehrers mittels einer Gesamtnote herzustellen.
Mit welcher Bergründung muss sich jemand gefallen lassen, dass ein Dritter nicht nur mit der Sammlung von Daten über sein Verhalten an seiner Arbeitsstelle, sondern sogar damit Geschäfte macht, diese Daten im Internet zu veröffentlichen, wenn das Gleiche sogar in Bezug auf Wirtschaftsunternehmen unzulässig wäre?
In Frankreich ist man übrgens bisher der Auffassung, dass ein öffentliches Lehrerbewertungsportal mit Namensangabe rechtswidrig ist. (la)