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Wie Google sich einmal selbst überlistete. Oder: 10.000 € um nichts

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© Angelika Bentin – Fotolia.com

Ein Antragsgegner eines einstweiligen Verfügungsverfahrens muss den Antragsteller abmahnen, bevor er ein Aufhebungsverfahren einleitet. Dies jedenfalls dann, wenn er nicht  Gefahr laufen möchte, nach einem sofortigen Anerkenntnis auf den Kosten sitzen zu bleiben. 

Eine aktuelle Entscheidung des Oberlandesgerichts München unterstreicht diese Notwendigkeit (OLG München, Beschluss v. 1.4.2019, Az. 18 W 338/19).

Der Fall zeigt auch, dass dabei um hohe Beträge gehen (vorliegend über 10.000 €) und dass dieser Umstand sogar von spezialisierten Kanzleien, die sonst keinen prozessualen Trick auslassen, leicht übersehen werden kann (bei der Verfügungsbeklagten handelte es sich um Google).

Google löscht nicht freiwillig

Es kommt vor, dass der Schuldner, der eine gegen ihn erlassene einstweilige Verfügung im Rahmen eines Aufhebungsverfahrens nach §§ 927, 936 ZPO wegen veränderter Umstände aufheben lassen will. Dies kann er dann tun, wenn Gründe für den Erlass der einstweiligen Verfügung nachträglich weggefallen sind. Diese Option wollte im vorliegenden Fall keine geringere, als die Google LLC, Betreiberin der bekannten gleichnamigen Suchmaschine, für sich nutzen.

Die Antragstellerin hatte gegen Google eine einstweilige Verfügung wegen rechtswidriger Suchergebnisse beim Landgericht München I erwirkt, nachdem die Suchmaschine auf außergerichtliche Entfernungsaufforderungen nicht reagiert hatte. Google löschte in der Folgezeit die Suchergebnisse.

Mit diesem grundsätzlich erfreulichen Zwischenergebnis fangen die (prozessualen) Probleme von rechtswidriger Berichterstattung der Betroffenen allerdings oft erst richtig an. Denn auch wenn Google die Suchergebnisse gegebenenfalls nach einiger Zeit löscht, muss der Antragsteller für eine ordnungsgemäße Vollziehung der dann in der Sache nicht mehr benötigten einstweiligen Verfügung alleine deswegen sorgen, um nicht Gefahr zu laufen, auf den nicht unerheblichen Kosten des Verfahrens sitzen zu bleiben.

Googles Kanzlei ist nicht bevollmächtigt

Eine beliebte Reaktion auf eine einstweilige Verfügung, insbesondere US-amerikanischer Internetgiganten, besteht darin, die deutsche Anwaltskanzlei, die ansonsten für Aktivprozesse und die sonstige rechtliche Vertretung grundsätzlich verantwortlich ist und mit denen man in zahlreichen Parallelfällen in ständiger Korrespondenz steht, mitteilen zu lassen, dass diese nun ausgerechnet für das betroffene, für Google unangenehme einstweilige Verfügungsverfahren gerade nicht bevollmächtigt sei.

Bei deutschen Prozessgegnern stellt es für gewöhnlich kein Problem dar, wenn der Gegner nicht anwaltlich vertreten ist: Dann stellt man die einstweilige Verfügung schlicht der Partei persönlich zu. Innerhalb von Deutschland ein alltäglicher Vorgang. Bei Unternehmen mit Sitz im Ausland sieht das aber natürlich ein wenig anders aus. Denn in diesem Fall muss eine komplizierte und langwierige Auslandszustellung (in diesem Fall in die USA) in Gang gesetzt werden, die nicht selten viele Monate in Anspruch nehmen kann.

Auch das ist für Antragsteller noch kein unlösbares Problem. Denn obwohl die Vollziehungsfrist, die mit Zustellung der einstweiligen Verfügung beim Antragsteller zu laufen beginnt, lediglich einen Monat beträgt, wirkt der Zeitpunkt der tatsächlichen Zustellung, sei sie auch Monate später, auf den Zeitpunkt der Auftragserteilung durch den Antragsteller zurück, wenn dieser innerhalb der Vollziehungsfrist alles in seiner Macht stehende getan hat, die Auslandszustellung ordnungsgemäß in Gang zu bringen. Die Zustellung muss „demnächst“ erfolgen.

Google versteht kein Deutsch

Google stellt dem Antragsgegner an dieser Stelle jedoch noch eine weitere Hürde in den Weg. Denn obwohl Google faktisch weltweit das gesamte Internet beherrscht und insbesondere  in Deutschland bzw. im deutschsprachigen Europa hervorragende Geschäfte macht, ohne dass mangelnde Deutschkenntnisse daran hinderlich wären, stellen sich die Verantwortlichen bei Google im Rahmen des Vollziehungsverfahrens auf den Standpunkt, dass die Amtssprache in den Vereinigten Staaten Englisch sei und man kein Deutsch verstehe bzw. verstehen müsse. Die zuzustellenden Dokumente seien daher – durch einen offiziellen Dolmetscher –  vorher zu übersetzen.

Google verursacht Aufwand und Kosten

Das bringt den Antragsteller nicht nur in finanzielle Bedrängnis: Die höchste hier bekannte Rechnung eines für die Übersetzung eines einstweiligen Verfügungsbeschluss (nebst Anlagen) betrug sage und schreibe 16.000 €.

Der Antragsteller muss sich, insbesondere dann, wenn er, um Kosten zu sparen, selbst ein Übersetzungsbüro beauftragt, natürlich auch sputen. Wenn er die Übersetzung, was ebenfalls möglich ist, in die Hände des Gerichts gibt, muss er ebenfalls weiter dran mitarbeiten und die zur ordnungsgemäßen Vollziehung erforderlichen Zwischenschritte nach Kräften fördern.

Den nach Erlass der einstweiligen Verfügung an die Google für gewöhnlich vertretende Kanzlei gerichteten Vorschlag, zur Vermeidung des aufwendigen Zustellungsverfahrens und der Übersetzungskosten von ca. 6.000 €, auf diese Förmlichkeiten zu verzichten und die einstweilige Verfügung als zugestellt anzunehmen, lehnte diese ab. Es bleibe auch in diesem Fall dabei: Man sei nicht bevollmächtigt. Google spekuliert natürlich darauf, dass der Antragsteller entweder bei der aufwendigen Prozedur Fehler macht oder schon die Kosten für die Übersetzung nicht aufbringt. Diese Rechnung hatte Google jedoch ohne die Antragstellerin gemacht.

Googles Kanzlei ist doch bevollmächtigt

Nachdem die einstweilige Verfügung rund 6.000 € später übersetzt und ca. 3 Monate später an Googles Unternehmenssitz im schönen Kalifornien zugestellt worden war, bestellte sich die vorher unzuständige Kanzlei dann natürlich doch.

Dies allerdings im Wesentlichen nur, um die Notwendigkeit der Übersetzung einzelner Unterlagen zu kritisieren, die Höhe der Verfahrenskosten zu beanstanden und die Aufhebung der einstweiligen Verfügung zu beantragen. Die Übersetzung habe zu lange gedauert und daher könne der letztendliche Zustellungszeitpunkt nicht auf einen Zeitraum zurückwirken, in dem die Vollziehungsfrist noch eingehalten wäre.

Darüber hinaus beantragte die Kanzlei, der Antragstellerin sowohl die Kosten des Anordnungsverfahrens als auch die weiteren Kosten des Aufhebungsverfahrens aufzuerlegen, eine Summe von mittlerweile über 10.000 €, deren Entstehung von vornherein hätte vermieden werden können.

Google trägt Kosten in Höhe von 10.000 €

Eine vorherige Aufforderung zum Verzicht auf die Rechte aus der einstweiligen Verfügung erfolgte nicht. Ein folgenschwerer Fehler. Denn  die Antragsgegnerin erkannte den Aufhebungsantrag  – da ihr Ziel in der Sache, die Löschung der rechtswidrigen Suchergebnisse – zwischenzeitlich erreicht war, an. Sie wehrte sich lediglich gegen die Verpflichtung, die aus ihrer Sicht völlig unnötigen und wegen der Weigerungshaltung Googles verursachten Kosten übernehmen zu müssen.

Das Oberlandesgericht München bestätigte das Landgericht München I schließlich darin, dass  die Antragstellerin weder die Kosten des Anordnungsverfahrens tragen müsse, noch die des Aufhebungsverfahrens (OLG München, Beschluss v. 1.4.2019, Az. 18 W 338/19).

Die Kostenentscheidung im Aufhebungsverfahren sei grundsätzlich auf die diesbezüglichen Kosten beschränkt. Die Kosten des Anordnungsverfahrens könnten der Antragstellerin daher nicht auferlegt werden. Aber auch die Kosten des Aufhebungsverfahren fielen dieser nicht zur Last. Diese habe vielmehr die Antragsgegnerin zu tragen. Nach zutreffender Auffassung habe der Antragsgegner eines Anordnungsverfahrens den Antragsteller vor Einleitung eines gerichtlichen Aufhebungsverfahrens zum Verzicht auf die Rechte aus der einstweiligen Verfügung aufzufordern bzw. den Antrag gemäß § 927 ZPO anzudrohen. Diese sei nicht geschehen.

Die Antragstellerin habe daher ein wirksames sofortiges Anerkenntnis abgegeben. Dies sogar trotz des Umstands, dass sie nach Ablauf einer bestimmten Frist der Antragsgegnerin noch ein Abschlussschreiben geschickt hatte. Denn auch in diesem Zusammenhang habe die Aufhebungsklägerin nicht auf ihr Vorhaben hingewiesen, die einstweilige Verfügung unter Berufung auf die mangelnde Vollziehung aufheben zu lassen.

Do the right thing

Mit dieser Entscheidung nimmt ein fast 3 Jahre währender Streit, in dem es zuletzt nur noch noch um – völlig unnötige, von Google nur zur Verursachung wirtschaftlichen Drucks ausgelösten – Kosten ging, ein erfreuliches Ende.

Abzuwarten bleibt, ob Google nun auch tatsächlich zahlt. Denn auch die Kosten eines Rechtsstreits müssten notfalls per Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden. Und zwar, Sie erraten es, wiederum in den USA. Vielleicht besinnt sich Google ja doch noch auf sein Konzernmotto. Das lautet seit 2015 „Do the right thing.“

Offenlegung: Unsere Kanzlei hat die Antragstellerin vertreten.

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