Warenähnlichkeit zwischen Fahrrädern und Kraftfahrzeugen
Kann tatsächlich eine Verwechslungsgefahr zwischen Fahrrädern und Autos bestehen? Ja! Dies stellte der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Grundsatzurteil klar. Fahrräder und Kraftfahrzeuge können im markenrechtlichen Sinne ähnlich sein. Das führte unter anderem dazu, dass ein Markenrechtsstreit rund um die Marke „PEARL“ gegen ein Peugeot-Tochterunternehmen neu entschieden werden muss.
Sind Fahrräder und Autos ähnliche Waren?
Geklagt hatte die Inhaberin der Marke „PEARL“ aus Südafrika. Sie verlangte von einer Tochterfirma des Autokonzerns Peugeot die Unterlassung der Bezeichnung „PURE PEARL“ für eines ihrer Autos. Durch diese Bezeichnung sah sich die Klägerin in ihren Markenrechten verletzt, die sie für „PEARL“ bereits einige Jahre vor dem beklagten Autokonzern – nämlich seit 2003 in Deutschland und seit 2008 unionsweit – markenrechtlich für Fahrräder schützen ließ.
2013 hatte die Beklagte dann Ihre Marke für Kraftfahrzeuge eingetragen, woraufhin die Inhaberin der älteren Marke dann feststellte, dass Peugeot im Namen des Mutterkonzerns die Marke „PURE PEARL“ angemeldet hatte und Autos der Marke Citroen mit dieser Modellbezeichnung vertrieb – auf den Wagen selbst war die Bezeichnung jedoch nicht angebracht. Das Landgericht Hamburg (LG Hamburg, Urteil v. 07.11.2017, Az. 312 O 432/14) gab der Klage statt. Die Berufung der Tochterfirma war vor dem OLG Hamburg erfolgreich, weil zwischen Fahrrädern und Kraftfahrzeugen keine Warenähnlichkeit und damit keine Verwechslungsgefahr bestehe. Dagegen legte die südafrikanische Markeninhaberin Revision ein – mit Erfolg!
BGH: Berücksichtigung aller erheblichen Faktoren
Auf die Revision der Klägerin hat der Bundesgerichtshof (BGH, Urteil v. 15.10.2020, Az. I ZR 135/19) das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Also alles zurück auf Anfang!
Der BGH kam zu dem Entschluss, dass gerade keine „absolute Warenunähnlichkeit“ zwischen Fahrrädern und Kraftfahrzeugen bestehe. Hierbei bestünden zwischen Fahrrädern und Kraftfahrzeugen natürlich Unterschiede, da Kraftfahrzeuge anders als Fahrräder generell nicht durch Pedale, sondern durch einen Motor angetrieben werden und die technischen Anforderungen an den Betrieb unterschiedlich seien. Allerdings seien bei der im Rahmen der markenrechtlichen Verwechslungsgefahr vorzunehmenden Prüfung, ob zwischen den Waren, für die die Marke eingetragen ist (Fahrräder), und den Waren, für die das angegriffene Zeichen benutzt wird (Kraftfahrzeuge), Warenähnlichkeit besteht, alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen, die das Verhältnis zwischen diesen Waren kennzeichnen. Hierzu gehören insbesondere die Art dieser Waren, ihr Verwendungszweck, ihre Nutzung sowie die Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Waren. In die Beurteilung einzubeziehen sei, ob die Waren oder Dienstleistungen regelmäßig von denselben Unternehmen oder unter ihrer Kontrolle hergestellt oder erbracht werden oder ob sie beim Vertrieb Berührungspunkte aufweisen, weil sie in denselben Verkaufsstätten angeboten werden.
Warenähnlichkeit durch Erteilung von Lizenzen?
Dem I. Zivilsenat zufolge genügt für die Annahme einer Warenähnlichkeit im Übrigen auch nicht allein der Umstand, dass Hersteller von Kraftfahrzeugen Lizenzen für die Produktion weiterer Waren vergeben. Das zeige sich vor allem im Bereich der Modellautos – der Umstand, dass Hersteller von Kraftfahrzeugen Lizenzen für die Produktion von Modellautos, die ihre Fahrzeuge in verkleinerter Form nachbilden oder für Computerprogramme und -zubehör wie Lenkräder und Pedale für die Simulation von Fahrzeugrennen vergeben, rechtfertige für sich genommen nicht die Annahme einer Warenähnlichkeit. Dies schließe es allerdings auch nicht aus, dass bei funktionsverwandten Produkten, bei denen im Falle einer Lizenzierung der Verkehr nicht nur von einem Imagetransfer, sondern auch von einem Know-how-Transfer ausgeht, die Lizenzierungspraxis einen Faktor darstelle, der im Grenzbereich für die Warenähnlichkeit beziehungsweise bei gegebener Warenähnlichkeit für die Verwechslungsgefahr sprechen könne.
Da aber die Verkehrserwartung im Hinblick auf die angegriffene Verwendung der geschützten Marke zu beurteilen sei, komme es insoweit darauf an, ob der Verkehr im Falle einer Lizenzierung der für bestimmte Waren (Fahrräder) geschützten Marke zur markenmäßigen Verwendung für andere Waren (Kraftfahrzeuge) von einem Know-how Transfer ausgeht.
BGH: Warenähnlichkeit ist klärungsbedürftig
Demnach wendet sich die Revision mit Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, es bestehe absolute Warenunähnlichkeit zwischen Fahrrädern, für die die Unionsmarke „PEARL“ Schutz beansprucht, und Kraftfahrzeugen, auf die sich die beanstandeten Verhaltensweisen der Beklagten beziehen. Zwar hat das Berufungsgericht festgestellt, dass Zeichenähnlichkeit vorliegt. Zum Grad der Zeichenähnlichkeit wurden jedoch keine Feststellungen getroffen – liegt Zeichenähnlichkeit allerdings vor, ist deren Grad genauer zu bestimmen.
Außerdem müsse das Oberlandegericht in seine Überlegungen mit einbeziehen, dass Peugeot selbst Fahrräder herstelle und andere Automobilfirmen für den Vertrieb ihrer Zweiräder aktiv Werbung mit ihrer Expertise im KFZ-Bereich machten. Auch der Umstand, dass es durch die zunehmende Technisierung, so durch E-Bikes, und den Wandel in der Mobilität zu einer wachsenden Vergleichbarkeit von Fahrrad und Kraftfahrzeugen kommt, sodass möglicherweise eine Verwechslungsgefahr bestehe, müsse Berücksichtigung finden. Diese Umstände zeigen, dass noch nicht endgültig geklärt ist, wer am Ende auf „PEARL“ zurückgreifen darf. Nun muss also das Oberlandesgericht Hamburg noch einmal unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände über den Fall entscheiden.