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„Cancel Culture“ – ein neues Gesellschaftsspiel?

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Cancel Culture
Photo by Markus Winkler on Unsplash

Wir sind stolz auf unsere Demokratie, deren Grundprinzip die Freiheit ist. Doch immer weniger scheinen wir bereit, deren „Folgelast“ (Habermas) zu tragen: die Toleranz. 

Toleranz, Respekt, Akzeptanz

Heißt: Auch Meinungen, Haltungen und Positionen sind zu tolerieren, die wir nicht respektieren oder akzeptieren können. Die Differenz von inhaltlicher Übereinstimmung oder freudiger Annahme zu der bloßen Ermöglichung der Einnahme von Positionen verwischt im Diskurs aber immer mehr. Damit stirbt die Toleranz. Toleranz kann dem Wortsinn nach ja erst dort beginnen, wo ich etwas nicht teile, nicht verstehe, denn es bedeutet schlicht „Duldung“. Das ist die schwächste Form, dem Fremden – sei es eine Sache oder ein Mensch – überhaupt eine Existenzberechtigung zuzubilligen.

Was ist noch sagbar?

Daran hapert es immer dort, wo Sagbarkeits- und Verhaltenskriterien aufgestellt werden, denen eine bestimmte inhaltliche Festlegung im Rücken steht. Wer diesen Kriterien nicht genügt, muss nun nicht mehr allein mit Kritik an der „Grenzüberschreitung“ als solcher rechnen, sondern damit, im Diskurs insgesamt „ausgelöscht“ zu werden. „Cancel Culture“ nennt sich das, ein Begriff der von Befürwortern als gerechtfertiger sozialer Ausschluss von diskriminierendem Handeln verstanden, von Kritikern als Angriff auf die Meinungs-, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit angesehen wird.

Es geht um die Person, nicht nur ihre Position

Entscheidend bei der „Cancel Culture“ ist der Angriff auf die Person als solche, nicht nur die Kritik an einer Position, die sie vertritt. Deutlich wird dies etwa dann, wenn Professoren ihr Lehrstuhl an der Universität streitig gemacht wird, weil sie eine unliebsame Haltung einnehmen, die nur am Rand mit dem Gebiet zu tun haben, das sie als Hochschullehrer unterrichten. Hier wird klar, dass es nicht nur um – möglicherweise berechtigte – Kritik in der Sache, sondern um die „Vernichtung“ der Person geht. „Cancel Culture“ ist also viel weitreichender als der wichtige Widerspruch gegen Unsägliches, Kritik an „Cancel Culture“ entsprechend kein Freibrief für Beleidigungen oder Falschaussagen. Es geht um die Tragweite des Vorgehens.

Die große Gefahr, oder: Es geht um Freiheit

Das Gefährliche an der „Cancel Culture“ ist nämlich zudem – neben den existenziellen Folgen für die betreffende Person –, dass durch Einschüchterung ein Klima der Angst erzeugt wird, in dem Einrichtungen und Institutionen (wie etwa eine Universität) nicht zur Solidarisierung neigen, sondern zu vorsorglichem Einlenken. Statt sich erst einmal hinter die Mitarbeiterin oder den Kollegen zu stellen, regiert die Furcht davor, als nächstes zur Zielscheibe zu werden und ebenso die gesellschaftliche Vernichtung zu erleiden. Nach diesem Prinzip funktioniert Mobbing, nach diesem Prinzip funktionieren aber auch Diktaturen. Schaden nimmt mit der „Cancel Culture“ also nicht weniger als das Grundprinzip der Demokratie: Freiheit.

Der Beitrag stammt von unserem freien Autor Josef Bordat. Er ist Teil unserer Reihe “Berichte aus der Parallelwelt”. Dort werfen Autoren aus anderen Fachbereichen einen Blick auf die Rechtswissenschaft in Theorie und Praxis. Die Beiträge betrachten, anders als unsere sonstigen Fachbeiträge Begebenheiten und Rechtsfälle daher auch nicht juristisch, sondern aus einem völlig anderen Blickwinkel. Aus welchem, das soll der Beurteilung der Leser überlassen bleiben. Interessant wird es, wie wir meinen, allemal.

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