Kein „Recht auf Vergessenwerden“: Sohn eines Promis muss Veröffentlichung des Vater-Kind-Verhältnisses dulden
Der Sohn des ehemaligen Münchner Oberbürgermeisters Erich Kiesl (CSU) muss einen online abrufbaren alten Pressebericht dulden, aus dem das Vater-Kind-Verhältnis hervorgeht.
Das entschied das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 25.02.2020 (BVerfG, Beschluss v. 25.2.2020, Az. 1 BvR 1282/17).
Die Verfassungsrichter nahmen die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers nicht zur Entscheidung an.
Es sei weder das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung noch das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Sohns verletzt. Er habe kein „Recht auf Vergessenwerden“.
Sachverhalt
Der Beschwerdeführer ist Partner einer seinen Familiennamen tragenden Anwaltskanzlei und Sohn von Erich Kiesl (CSU). Dieser war von 1978 bis 1984 ehemaliger Oberbürgermeister von München. „Der Spiegel“ veröffentlichte 1978 ein Porträt über Erich Kiesl. In diesem wurden auch die Namen der fünf Kinder genannt. Der Beitrag ist im Online-Archiv weiterhin abrufbar. Beim „Googeln“ des Namens des Beschwerdeführers erschienen ein Nachweis und eine Verlinkung dieses Berichts auf der fünften Seite der angezeigten Suchergebnisse. Der Beschwerdeführer wollte nicht öffentlich als Sohn mit dem ehemaligen Oberbürgermeister in Verbindung gebracht werden. Deshalb verklagte er erfolglos die Verlegerin des Magazins. Sie sollte unterlassen, ihn namentlich in dem online vorgehaltenen Bericht zu erwähnen.
Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nicht eröffnet
Das Bundesverfassungsgericht sah den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nicht als eröffnet an. Das Grundrecht schütze vor den spezifischen Gefährdungen der von Betroffenen nicht mehr nachzuvollziehenden oder zu kontrollierenden Datensammlung und -verknüpfung. Vor der Mitteilung personenbezogener Informationen im öffentlichen Kommunikationsprozess schütze es hingegen nicht.
Auch keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
Auch eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts lehnten die Karlsruher Richter ab. Dieses biete Schutz vor einer personenbezogenen Berichterstattung und Verbreitung von Informationen, die geeignet seien, die Persönlichkeitsentfaltung erheblich zu beeinträchtigen. Es gewährleiste jedoch nicht das Recht, öffentlich so wahrgenommen zu werden, wie es den eigenen Wünschen entspreche. Bei Presseberichten in Online-Archiven komme es darauf an, die sich gegenüberstehenden grundrechtlich geschützten Interessen miteinander abzuwägen. Die angegriffenen Entscheidungen seien in Hinblick auf die vorgenommene Abwägung nicht zu beanstanden.
Informationsinteresse der Öffentlichkeit und Interesse der Presse an vollständigem und unverändertem Online-Archiv berücksichtigt
Sie erkennen nach Ansicht der Richter zu Recht neben dem weiterhin bestehenden Informationswert des archivierten Artikels, den sie in nachvollziehbarer Weise begründeten, auch ein allgemeines Interesse der Presse an, ihre Archive möglichst vollständig und unverändert der Öffentlichkeit verfügbar zu halten.
Keine erheblichen negativen Folgen für Beschwerdeführer
Die Gerichte seien zudem nachvollziehbar davon ausgegangen, dass drohende Persönlichkeitsbeeinträchtigungen nicht ähnlich schwer wiegen wie eine zutreffende Berichterstattung über schwere Straftaten oder allgemein grob missbilligtes Verhalten.
Pressebericht erscheint bei Google-Suche nur auf Position 40–50
Das Bundesverfassungsgericht betonte weiterhin, dass der angegriffene Bericht bei einer Google-Suche nur auf Position 40 bis 50 erscheine. Es sei damit nicht erkennbar, dass Personen, die nicht intensiv recherchierten, in persönlichkeitsverletzender Weise auf den beanstandeten Bericht und damit auf das Kindschaftsverhältnis hingelenkt würden.
Allgemeines Persönlichkeitsrecht gewährleiste auch keine einseitig bestimmte Selbstdefinition
Der Beschwerdeführer machte geltend, dass die Kenntnis der Öffentlichkeit von der prominenten Stellung seines Vaters seine selbstbestimmte Persönlichkeitsentfaltung erschwere. Davon ließen sich die Verfassungsrichter nicht überzeugen. Zwar möge dieser Gesichtspunkt eine selbständige Persönlichkeitsrelevanz für die Kinder prominenter Personen besitzen. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleiste jedoch auch insoweit keine einseitig durch die Betroffenen bestimmte Selbstdefinition.