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OLG Frankfurt: Identifizierende Verdachtsberichtserstattung nur bei ausreichender vorheriger Konfrontation des Betroffenen

Moukoko-Skandal
Foto von Dan Gold auf Unsplash

Bereits vor einiger Zeit hatten wir darüber berichtet, dass dem Spiegel vom Landgericht Frankfurt Äußerungen zum angeblich falschen Alter des Profifußballspielers Moukoko gemacht hatte, untersagt wurden.

Im Kern ging es um einen Bericht, der Zweifel am Alter des Profifußballers sowie dessen Abstammung aufwarf. Gegen diesen Bericht ging der Spieler mit einem Eilantrag vor. Moukoko legte gegen das teils abweisende Urteil (LG Frankfurt am Main, Urteil v. 21.02.2023, Az. 2-03 O 425/22) Berufung ein. Über diese Berufung hat nun der 16. Zivilsenat des OLG Frankfurt entschieden (OLG Frankfurt, Urteil v. 8.5.2024, Az. 16 U 33/23).

Erste Instanz beim LG Frankfurt

In erster Instanz gab das LG Frankfurt Moukokos Anträgen nur teilweise Recht. Es handele sich im Übrigen um zulässige Verdachtsäußerungen. Der Spiegel habe deutlich gemacht, dass es sich bei den angegriffenen Äußerungen um Gerüchte handele, deren Wahrheit nicht feststehe. Zudem sei die Berichterstattung nicht vorverurteilend gewesen. Die Thematik falle aufgrund des medialen Interesses anlässlich der Fußballweltmeisterschaft sowie des höheren finanziellen Werts von jüngeren Spielern nicht in die Privatsphäre des Klägers. Auch sah das LG Frankfurt die Pflicht des Spiegels, dem Spieler die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben, als erfüllt an. Es habe eine ausreichende Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und der Kern der Berichterstattung sei ausreichend erkennbar gewesen.

Die Möglichkeit zur Stellungnahme ist der Punkt, an dem das OLG Frankfurt bei der Berufung ansetzte und aufgrund dessen weitere Aussagen verboten wurden.

Persönlichkeitsschutz vs. Meinungs- und Medienfreiheit

Ausgangspunkt sind die konkurrierenden Rechte des Schutzes der Persönlichkeit und des guten Rufes aus Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK und der Meinungs- und Medienfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK. Da es sich beim Persönlichkeitsrecht um ein Rahmenrecht handelt, dessen Reichweite nicht absolut feststeht, muss die Reichweite durch Abwägung der grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt.

Verdachtsberichterstattung

Nach seiner Gesamtschau handele es sich bei dem Beitrag um eine Verdachtsberichterstattung über Zweifel und Gerüchte am tatsächlichen Alter des deutlich identifizierbaren Fußballers. Die Schilderung dieses Verdachts sei geeignet, sich erheblich auf dessen Ansehen auszuwirken. Demgegenüber stehe das Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Die Berichterstattung leiste einen Beitrag zu einer Diskussion von öffentlichem Interesse, denn das Alter habe eine signifikante Auswirkung auf den Marktwert eines Spielers. Darüber hinaus stehe der Spieler aufgrund seiner Bundesliga- und Nationalmannschaftskarriere im Fokus der Öffentlichkeit. Aufgrund dieser beruflichen Besonderheit sei das Alter des Profifußballers auch nicht ausschließlich dessen Privatsphäre zuzuordnen, sondern auch der Sozialsphäre.

Für eine identifizierende Verdachtsberichterstattung sei ein Mindestbestand an Beweistatsachen notwendig, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr erst damit „Öffentlichkeitswert“ verleihen. Darüber hinaus dürfe die Darstellung keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten. Zudem sei vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Abschließend müsse es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt sei. All diese Punkte – mit Ausnahme der Stellungnahme – habe der Spiegel vorliegend erfüllt.

Voraussetzungen an die Anhörung

Der Spiegel habe den Prozessvertretern des Spielers am 22.11.2022 – der Artikel wurde am 25.11.2022 online veröffentlicht – eine Mail-Anfrage geschickt. Die Anfrage richtete sich zwar an den Spieler, da die Anfrage ausdrücklich darauf verweist, dass die Bevollmächtigten den Spieler (sowie dessen Vater) vertreten und der Kernverdacht (Gegenstand des Artikels sind das Alter und die Herkunft des Spielers) wurde benannt, jedoch wurden wesentliche Rechercheergebnisse (Interviews mit vermeintlichen Verwandten im Heimatort), auf denen der Artikel basiert, nicht ausreichend erwähnt. Die Anfrage bezog sich nicht auf alle Recherchepunkte. Insbesondere wurden Rechercheaspekte außer Acht gelassen, die zuvor noch nicht in der Presse genannt worden waren.

Die nicht in der Anfrage benannten Äußerungen dienten jedoch als Indiz für den geäußerten Verdacht, dass der Spieler andere Eltern habe und das Bestreiten des Spielers in der Vergangenheit nicht der Wahrheit entspreche. Diese Indizien wurden mit einem Bild einer angeblichen Tante unterlegt und erschienen in Gesamtschau des Artikels als wesentliche Anhaltspunkte für den Verdacht, sodass dem Spieler hier die Möglichkeit zur Stellungnahme hätte gegeben werden müssen.

Die Anfrage müsse mindestens den „wesentlichen Kern“ der Vorwürfe und der Anknüpfungspunkte und Argumente enthalten. Wird hauptsächlich auf ein vermeintliches Indiz abgestellt, müsse man im Gegenzug auch die konträre Sichtweise des Betroffenen schildern bzw. diesem die Möglichkeit geben, seine Sichtweise darzustellen, denn die konkrete Berichterstattung könnte in einem für den durchschnittlichen Leser wichtigen Punkt anders ausfallen, wenn eine Stellungnahme des Betroffenen eingeholt und berücksichtigt worden wäre.

Betroffener verweigert offizielle Stellungnahme

Es sei auch unerheblich, wenn der Betroffene eine – nicht ausreichende – Gelegenheit zur Stellungnahme erhalte und angebe, dass er keine offizielle Stellungnahme, aus der zitiert werden dürfe, abgeben werde. Die Möglichkeit der Anhörung diene auch dem Zweck, dass der Autor des Artikels seine Recherchen und Ergebnisse kritisch hinterfrage und eventuell Nachforschungen anstellen könne. Das grundlegende Erfordernis einer Möglichkeit zur Stellungnahme solle sicherstellen, dass der Standpunkt des von der Verdachtsberichterstattung Betroffenen in Erfahrung gebracht wird und so dem Betroffenen möglicherweise selbst zu Wort kommen kann. Folglich sei die Voraussetzung, dass der Betroffene nicht nur die Gelegenheit zur Stellungnahme erhalte, sondern der Standpunkt des Betroffenen auch in der Berichterstattung sichtbar werde. Nicht nur eine konkrete Stellungnahme sei hierbei relevant, sondern auch die Information über ein bloßes Dementi sei grundsätzlich geeignet, der Gefahr einer Vorverurteilung zu begegnen.

Keine Ausnahme aufgrund von Aktualitätsdruck

Auch im Aktualitätsdruck der aktuellen Zeit (elektronische Medien) sei eine Stellungnahme nicht entbehrlich. Der Vorrang des Informationsinteresses bestehe grundsätzlich nur, wenn dem Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde.

Fazit

Bei gebotener Abwägung zwischen dem Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit habe regelmäßig die aktuelle Berichterstattung und damit das Informationsinteresse den Vorrang, wenn die publizistischen Sorgfaltsanordnungen eingehalten seien. Aufgrund der nicht ausreichenden Anfrage habe Moukoko bei den entsprechenden auf Indizien basierenden Äußerungen einen Anspruch auf Unterlassen gem. §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 2 GG.

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