Rechtswidrige Berichterstattung über Erpressung mit intimen Aufnahmen
Werden Prominente mit intimen Aufnahmen erpresst, dürfen die Medien nur eingeschränkt und nicht unter voller Namensnennung des Erpressten berichten. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Bericht auf die Verfügbarkeit des Materials im Netz hinweist und originale Twitter-Posts der Erpresser veröffentlicht. Dies entschied der Bundesgerichtshof in einem aktuellen Urteil (BGH, Urteil v. 30.04.2019, Az. VI ZR 360/18).
Zum Sachverhalt
Die Klägerin ist eine bekannte Popsängerin. Die Beklagte, die die Internetseite www.bild.de betreibt, veröffentlichte einen Artikel, in welchem unter voller Namensnennung der Klägerin beschrieben wurde, dass intime Aufnahmen und privat angefertigte Videos der Klägerin, auf denen sie nackt oder nur wenig bekleidet zu sehen war, im Internet veröffentlicht worden seien. Diese Aufnahmen stammten wahrscheinlich vom Laptop ihres Freundes, der bei einem Autoaufbruch gestohlen wurde. Nachdem die Sängerin die Forderungen des Erpresser, eine bestimmte Geldsumme zu zahlen, nicht erfüllte, wurden die Aufnahmen auf bestimmten Internetseiten zugänglich gemacht.
Die „Bild“-Zeitung behauptete u. a., es würden „pikante Fotos des Popstars verbreitet“, „zu sehen ist die Sängerin, wie sie nackt oder nur in Unterwäsche posiert“, „mit ein paar Klicks“ könne man die Aufnahmen im Internet finden. Darüber hinaus beinhaltete der Artikel Abbildungen von Twitter-Posts der unbekannten Täter, in denen sie erklärten, die Medien zu verbreiten. Die Sängerin beantragte mit ihrer Klage die Unterlassung der Verbreitung des Berichterstattung.
Bisheriger Verfahrensgang
Das Landgericht Berlin hatte einer Unterlassungsklage weitgehend stattgegeben (LG Berlin, Urteil v. 30.11.2017, Az. 27 O 310/17). Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen (KG Berlin, Urteil v. 05.07.2018, Az. 10 U 4/18). Mit seiner jetzt schriftlich veröffentlichten Entscheidung vom 30. April 2019 hob der BGH die Entscheidung des Berufungsgerichts auf und setzte die des Landgerichts wieder in Kraft. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts habe die Klägerin gegen die Beklagte einen Unterlassungsanspruch in dem vom Landgericht zugesprochenen Umfang (§ 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG).
„Bild“ verletzte durch Berichterstattung Privatsphäre der Sängerin
Die Art und Weise der Berichterstattung der „Bild“ beeinträchtigt nach Auffassung des Senats in unzulässiger Weise das Recht der Klägerin auf Achtung ihrer Privatsphäre im inneren Bereich. Dieser Eingriff sei auch nicht durch die Presse- und Meinungsfreiheit gerechtfertigt.
„Die Zeitung informiert ihre Leser darüber, dass die Klägerin mit von ihr selbst erstellten Videos und Fotos erpresst wird, die zeigen, wie sie nackt oder nur in Unterwäsche für ihren Freund posiert. Durch die Bezeichnung als „intime Fotos“, „private Videos“, „Nackt-Selfies“, „pikante Fotos“und „Videos mit persönlichen Liebesbotschaften“sowie den Hinweis, dass die Aufnahmen außer ihrem Freund niemand sehen sollte, bringe die Bild eindeutig zum Ausdruck, dass das Bildmaterial sexuellen Bezug hat. Diesen Bezug konkretisiert die Beklagte zusätzlich dadurch, dass sie nach der Beschreibung der Aufnahmen zwei Erpresser-Tweets wiedergibt, in denen dieser die Bilder als (…) „Kollektion von [Klägerin]s privaten Speichermedien, welche an Ihrer Einzigartigkeit nicht zu übertreffen sind“ bezeichnet und sie mit den Worten „Lasset die Spiele beginnen“ kommentiert.“
Damit sei der Bereich der Sexualität, mithin auch ihre Privatsphäre betroffen. Dies gelte selbst dann, obwohl sie die Aufnahmen bewusst weggegeben hatte, denn die Weitergabe sei explizit nur an ihren Freund erfolgt.
Schutz des Persönlichkeitsrechts überwiegt der Meinungsfreiheit
Der Eingriff in die Privatsphäre der Klägerin sei rechtswidrig. Der Senat nahm dabei eine Abwägung zwischen dem durch Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Interesse der Klägerin am Schutz ihrer Persönlichkeit mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK verankerten Recht der Beklagten auf Meinungsfreiheit vor.
Zwar informiere der Artikel über ein durchaus verbreitetes Phänomen der unbefugten Verbreitung von Nacktfotos im Internet („Sex-Leaks“) und einer damit verbundenen Straftat. Dennoch überwiege das Schutzinteresse der Klägerin, da die Berichterstattungen schwerwiegend in ihre Privatsphäre eingreifen.
„Anlockwirkung“ der Berichterstattung intensiviert den Eingriff in die Privatsphäre
Die Eingriffsintensität werde insbesondere durch den Hinweis verstärkt, die intimen Aufnahmen der Klägerin seien „mit ein paar Klicks“ im Internet zu finden, denn dadurch werde die Gefahr intensiviert, dass ein größerer Personenkreis nach diesen Aufnahmen sucht (sog. „Anlockwirkung“). Als Opfer einer Straftat sei die Klägerin zudem besonders schutzwürdig.
Die Argumentation der Beklagten, die Klägerin veröffentliche „im Internet auf ihrem Instagram-Account selbst eine Vielzahl erotischer (Bikini-) Fotos, die nicht nur für die 1,6 Millionen Abonnenten ihres Accounts, sondern für jedermann einsehbar sind“, und dass sich daraus ergebe, dass die Klägerin „kein Problem damit hat, in der Öffentlichkeit leicht bekleidet und in erotischen Posen wahrgenommen zu werden“ ändere nichts an der Rechtswidrigkeit der Berichterstattungen, so die Karlsruher Richter. Die von der Beklagten vorgelegten Bilder der Klägerin auf ihrem Instagram-Account zeigen diese „durchweg in Bekleidungen und Posen, die in der Öffentlichkeit üblich sind“, so der Senat.
Fazit
Der Rechtsstreit ist vor allem deswegen interessant, weil nicht die bloße Wortberichterstattung an sich das Persönlichkeitsrecht der Klägerin verletzt, sondern eine Rechtsverletzung bejaht wurde, weil die „Bild“ zu detailliert über die Persönlichkeitsbeeinträchtigung berichtete.
Bei der Berichterstattung über Erpressungsstraftaten, bei denen es um eine unbefugte Verbreitung von intimen Aufnahmen im Internet geht, ist eine besondere Rücksicht geboten. Insbesondere aufgrund der Schutzwürdigkeit des Opfers sind bei der Berichterstattung besonders strenge Maßtäbe anzulegen. Die Lektüre ist wichtig, denn eine unzulässige straftatbezogene Berichterstattung bringt nicht nur Leid und Stress für betroffene Opfer, sondern auch unangenehme Folgen für die verantwortlichen Veröffentlicher. Es drohen Abmahnungen, einstweilige Verfügungen und Schadensersatzforderungen in nicht immer klar abzuschätzenden Umfängen.