LG Frankfurt erlässt einstweilige Verfügung wegen Verbreitung eines Plagiatsverdachts von VroniPlag
Der öffentliche Pranger erreicht im digitalisierten Medienzeitalter neue Dimensionen. Entsprechend sensibel muss damit umgegangen werden. Ein Verdacht ist ein Verdacht – mehr nicht.
Das Landgericht Frankfurt hat aktuell einer Zeitung die Verbreitung eines von VroniPlag ausgehenden Plagiatsverdachts verboten (LG Frankfurt, Beschluss v. 28.7.2020, Az. 2-34 O 49/20).
Das Internet hat viele Facetten. Eine davon ist die, dass es praktisch jeder und jedem möglich ist, mit relativ geringem Aufwand ziemlich viel Schaden anzurichten. Das ist etwa dann der Fall, wenn man Personen virtuell in den Dreck zieht. Das hat u.U. konkrete Auswirkungen auf das reale Leben, bis hin zur Vernichtung von Existenzen. Andererseits bietet das Internet zugleich die Chance, über Missstände und Fehlverhalten aufzuklären.
VroniPlag: Prominente im Fokus
Irgendwo dazwischen liegt VroniPlag. Die Plattform hat es sich zum Ziel gesetzt, Plagiate in wissenschaftlichen Qualifikationsarbeiten aufzudecken. Besonders die Dissertationen Prominenter sind dabei im Fokus. VroniPlag durchforstet die Texte auf nicht entsprechend gekennzeichnete Zitate, die sich die Autorin resp. der Autor zu eigen gemacht hat. Kann dieses unredliche Vorgehen auffällig oft nachgewiesen werden, liegt ein Grund vor, den erworbenen Doktortitel abzuerkennen. Das wiederum liegt nicht in der Befugnis von VroniPlag, sondern ist Aufgabe der für das Promotionsverfahren zuständigen universitären Gremien.
Dennoch wird oft so getan, als habe die akademische Enthüllungsplattform gewissermaßen das letzte Wort. Ein Plagiatsverdacht wird rasch zur Tatsache erhoben, auch und gerade in den Medien. Freilich sind solche Fälle medial interessant und – geht es um Mandatsträger oder Personen des öffentlichen Lebens – auch gesellschaftlich relevant. Man darf und soll also durchaus berichten.
Verdachtsberichterstattung: Klare Regeln für den Schutz der Persönlichkeitsrechte
Der springende Punkt ist jedoch: Die Berichterstattung über Personen, denen VroniPlag unlauteres Arbeiten vorwirft, ist dem medienrechtlichen Charakter nach Verdachtsberichterstattung. Das bedeutet, es müssen bei Abfassung des Artikels oder Sendebeitrags die Regeln der Verdachtsberichterstattung beachtet werden. Vertreter der Presse sollten sich vorab gut informieren, was das heißt. Was geht – und was nicht geht, ist hier übersichtlich dargelegt.
LG Frankfurt erlässt einstweilige Verfügung gegen Zeitung
Zu einem sensiblen Umgang mit einem Verdacht sind alle verpflichtet, insbesondere aber die Medien. So untersagte das LG Frankfurt a. M. einer Zeitung , identifizierend über den Plagiatsverdacht von VroniPlag zu berichten (LG Frankfurt, Beschluss v. 28.7.2020, Az. 2-34 O 49/20). Eine Schlagzeile, nach der die Akademikerin ihre „Doktorarbeit abgeschrieben“ habe, sei allein aufgrund des Verdachtsmoments, das sich aus der Analyse von VroniPlag ergeben haben mag, unzulässig.
Ferner werde durch die Formulierung „Entlarvung ihrer Promotion als Plagiat“ der Eindruck erweckt, als stehe der Entzug des Doktortitels durch die betreffende Universität schon fest, was jedoch nicht der Fall ist. Das ist damit keine Verdachtsberichterstattung, sondern eine Tatsachenberichterstattung. Und die verletzt Persönlichkeitsrechte, weil es der Person in der öffentlichen Wahrnehmung und Meinung kaum eine Chance lässt, ihre Reputation wiederherzustellen, auch wenn juristisch ihre Unschuld bewiesen ist.
Im Verstoßensfall droht ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 € oder sogar Haft. Der Streitwert wurde vom Landgericht mit 20.000 € festgesetzt. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig und kann von der Zeitung mit dem Widerspruch angegriffen werden. Daneben ist auch die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens möglich.
Zum medialen Umgang mit VroniPlag
Grundsätzlich muss sich jede und jeder Medienschaffende ohnehin die Frage stellen, ob es überhaupt statthaft ist, aufgrund von „Ermittlungsergebnissen“ einer durch nichts offiziell legitimierten Internet-Plattform über einschneidende Aspekte der Persönlichkeit zu berichten (und dazu zählen berufsqualifizierende Abschlüsse und akademische Grade). Wenn dies auch im Modus der Verdachtsberichterstattung geschieht, die Frage der Relevanz jenseits der Häme muss zuvor immer gestellt werden. Denn: Irgendwas bleibt immer hängen. Das muss man wissen, bevor man eine Schlagzeile macht, die nicht nur Verkaufszahlen und Klicks erhöht, sondern auch das Risiko birgt, einen Menschen existenziell zu treffen.
Es muss nämlich klar sein, dass der Jagdtrieb die selbsternannten Plagiatsjäger schon manches Mal über das Ziel hat hinausschießen und Verdächtigungen aussprechen lassen, die sich am Ende als haltlos erwiesen oder zumindest nicht zum Entzug des Doktortitels führten; prominente Persönlichkeiten, die heute noch – etwa via Suchmaschine – rasch mit Plagiatsvorwürfen in Verbindung gebracht werden können sind Ursula von der Leyen und Franziska Giffey.
Es ist für den unbedarften Zeitungsleser und die nicht immer hundertprozentig aufmerksame Radiohörerin schwierig, zwischen wissenschaftsethischen Mängeln und einem Vergehen, das den Titelentzug rechtfertigt, zu differenzieren. Wissenschaftliches Arbeiten ist nicht für jeden Rezipienten Alltag. Und je komplexer die Thematik, desto wichtiger ist die Informations- und Orientierungsfunktion der Medien. Der Impetus der Berichte über Personen im Visier von VroniPlag bringt oft das glatte Gegenteil des Medienauftrags in die Öffentlichkeit: Desinformation und Fehlleitung durch Vorverurteilung.
Rechtsanwalt Arno Lampmann von der Kanzlei LHR:
VroniPlag ist weder besonders befähigt, noch offiziell legitimiert, Doktorarbeiten auf vermeintliche “Plagiate” zu prüfen. Die Plattform tut es seit Jahren trotzdem. Das ist nicht verboten. Allerdings wird oft so getan, als habe VroniPlag die Expertise oder gar die Aufgabe, bei der Entscheidung über das Schicksal von Doktortiteln mitzureden. Das ist jedoch nicht der Fall. Bei der Verbreitung von Einschätzungen aus dieser Richtung ist daher Vorsicht geboten.
(Offenlegung: Unsere Kanzlei hat die Antragstellerseite vertreten.)