Ist die Klarnamenpflicht sinnvoll oder gar erforderlich?
Die russische Regierung brachte kürzlich den einst anonymen Inhaber eines populären russischen Social-Media-Kanals, der auch den Kreml immer wieder kritisierte, durch fragwürdige Methoden zu einer Identitätspreisgabe.
In einem solchen Fall könnten persönliche Nachteile und eine Beschneidung der Meinungsfreiheit im Internet die Folge sein.
Doch was, wenn sich Absender von Hass und Hetze im Netz gerade hinter Anonymität verstecken und so einer möglichen Strafbarkeit entziehen? Könnte eine sogenannte Klarnamenpflicht hier Sinn machen?
Alexander Gorbunov alias StalinGulag
Alexander Gorbunov – der vormals unter einem Pseudonym auftretende Online-Kritiker hat nach Jahren der Spekulation seine Identität offenbart. Die Rundfunkanstalt BBC Russian berichtete über die Person und die Identitätspreisgabe des Kritikers.
In seinem „Telegram“-Account berichtet Gorbunov, alias StalinGulag, über Absurditäten und Ungerechtigkeiten in Russland. Ca. 300.000 Follower verzeichnet der Kritiker bei dem Instant-Messaging-Dienst. Auf dem 2013 eingerichteten anonymen Twitter-Account folgen ihm sogar über eine Millionen Follower mehr. Mit seinen ironischen und witzigen Posts würdigt er kritisch den russischen Alltag.
Polizei bringt Kritiker zur Identitätspreisgabe
Über anonyme „Kanäle“ können Inhalte direkt an eine unbegrenzte Anzahl von Followern versendet werden. StalinGulags Kanäle sind laut BBC in Ländern beliebt, in denen die Meinungsfreiheit eingeschränkt ist, wie beispielsweise Russland und der Iran. Ob Gorbunov nun den Besuch des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-un thematisiert oder sarkastische Tweets über die nationale Arbeitssituation und das russische Trinkverhalten veröffentlicht – StalinGulag schreckt vor keiner kritischen Begutachtung zurück.
Da wundert es nicht, dass die russischen Behörden sich von dem wichtigsten Kolumnisten Russlands, wie ihn laut BBC der russische Oppositionsführer Alexei Navalny nannte, bedroht fühlen. Der bis dato unbekannte Kritiker habe sich gezwungen gesehen, seine Identität preiszugeben, um zu verhindern, dass seine Familie Ziel von Druckmaßnahmen wird. Dies teilte er der BBC Russia mit. Die Polizei soll zuvor bei Gorbunovs Mutter an der Tür geklopft und andere Verwandte kontaktiert haben. Möglicherweise, weil ein Mediensender 2018 eine Geschichte veröffentlichte, die Alexander Gorbunovs Namen mit dem Telegrammkanal in Verbindung brachte.
Russische Regierung möchte politischen Austausch staatlich kontrollieren
Das soziale Netzwerk ist eine von der Regierung unabhängige Plattform für politische Diskussion und politischen Austausch, die die russische Aufsichtsbehörde Roskomnadsor vergangenes Jahr bereits versuchte zu blockieren – allerdings erfolglos.
Die Regierung gab jedoch nicht auf, und beschloss ein Gesetz, das vorsieht, dass der Internetverkehr im eigenen Land nur noch über russische Server läuft. So könnte das gleiche bald auch mit Telegram geschehen.
Forderung einer Deanonymisierung in Deutschland in Form einer Klarnamenpflicht
Einen neuen Aspekt im deutschen Rechtssystem, der die Identitätspreisgabe im Internet betrifft, forderte kürzlich hierzulande Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Mit einer Klarnamenpflicht möchte dieser erreichen, dass Beleidigungen und Drohungen, die unter dem Deckmantel der Anonymität im Netz veröffentlicht werden, abnehmen. „Wer seine Meinung äußert, sollte auch dazu stehen können“, teilte er SPON mit.
Die Klarnamenpflicht könnte durch verschiedene Ansätze durchgesetzt werden, wie beispielsweise der Registrierungspflicht bei großen Online-Plattformen mit Namen und Adressdaten. Denkbar wäre in dem Zusammenhang auch die Online-Funktion des Personalausweises. Ebenso Ident-Verfahren könnten eine vorstellbare Methode sein. Zurzeit werden diese bereits beispielsweise bei Kontoeinrichtungen durchgeführt.
Parallelen
Natürlich unterscheiden sich die genannten Fälle nicht unerheblich: Die Ziele der deutschen und der russischen Regierung bei Identitätspreisgaben gehen wohl stark auseinander. Außerdem handelt es sich bei Hassreden und Verunglimpfungen von einzelnen Personen um andere Sachverhalte, als bei sachlicher Kritik an einem politischen System oder einem gesellschaftlichen Zustand.
Könnte eine Deanonymisierung für manche Fälle sinnvoll sein?
Auf den ersten Blick ist die Klarnamenpflicht somit eine gute Idee. Am Beispiel StalinGulag wird jedoch ein Nachteil klar: Die „Überwachung“ und unter Umständen sogar die Manipulation von Personen wird einfacher. Fraglich scheint auch, ob die Meinungsfreiheit und der Datenschutz auf diese Weise noch angemessen gewährleistet werden können. Schließlich äußern sich Menschen auch in der analogen Welt Äußerungen seit jeher, ohne zwangsläufig Namen und Identität preiszugeben.
Andererseits darf nicht ignoriert werden, dass der Empfängerkreis von Äußerungen im Internet viel größer und die Gefahr der Diskreditierung einer Person vor Dritten um einiges höhe ist, als in der analogen Welt.
Persönlichkeitsrecht ist nicht immer schützenswerter
Im Ergebnis ist auf der einen Seite die Sorge, immer durchsichtiger zu werden, zwar nicht unbegründet. Gerade im Fall von Alexander Gorbunov wird wohl der Schutz der Anonymität dem Vorteil der Erlangung von etwaiger Bekanntheit überwiegen. Zusätzlich soll sich Studien zufolge, der Umgang untereinander, durch eine Klarnamenpflicht ohnehin nicht ändern und die Zahl an beleidigenden Äußerungen nur minimal abnehmen.