BGH: Karlsruher Richter regeln digitalen Nachlass
Wer darf auf das Facebook-Konto eines Verstorbenen zugreifen? Diese Frage hat der BGH am 12.06.2018 beantwortet. Der Entscheidung kommt auch über den konkreten Fall hinaus große Bedeutung zu, denn die höchsten deutschen Zivilrichter klärten offene Rechtsfragen hinsichtlich des digitalen Nachlasses, die von Juristen seit langem kontrovers diskutiert werden.
Die Mutter, deren Tochter im Jahr 2015 von einer einfahrenden U-Bahn erfasst wurde und infolgedessen umkam, obsiegte letzten Endes vor dem BGH: Die Beklagte – Facebook – muss der Mutter Zugang zu dem Facebook-Konto ihrer verstorbenen Tochter gewähren. Kurz nach dem Tod des Mädchens versetzte Facebook das Konto in den sog. Gedenkzustand, womit ein Zugriff auf das Konto – selbst mit den entsprechenden Zugangsdaten – nicht mehr möglich war.
Drei Jahre nach dem Tod der Tochter hat die Mutter nun die Möglichkeit mithilfe der Chatverläufe ihrer Tochter Aufschluss darüber zu erhalten, ob die Tochter eventuell suizidgefährdet war.
In der ersten Instanz hatte das Landgericht Berlin der Mutter noch einen Anspruch auf Zugang zu dem Facebook-Konto zu (LG Berlin, Urteil v. 17.12.2015, Az. 20 O 172/15) zugesprochen, bevor das Kammergericht Berlin in zweiter Instanz entschied, dass insbesondere das Fernmeldegeheimnis dem Zugang der Eltern zu dem Facebook-Konto entgegenstehe (KG Berlin, Urteil v. 12.05.2017, Az. 21 U 9/16).
„Facebook-Vertrag“ werde von der Gesamtrechtsnachfolge erfasst
Nach Ansicht des BGHs haben die Erben – u.a. die Mutter – einen Anspruch auf Zugangsgewährung zu dem Facebook-Konto der Verstorbenen einschließlich der dort enthaltenen Kommunikationsinhalte. Dies ergebe sich aus dem Nutzungsvertrag zwischen der Verstorbenen und Facebook, der im Wege der Gesamtrechtsnachfolge gem. § 1922 BGB auf die Erben übergehe. Die Vererblichkeit sei nicht durch vertragliche Bestimmungen ausgeschlossen. Die Klauseln zum Gedenkzustand seien darüber hinaus nicht wirksam in den Vertrag einbezogen worden, da sie einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1, Abs. 2 BGB nicht standhalten und somit unwirksam seien.
Auch aus dem Wesen des Vertrags ergebe sich keine Unvererblichkeit des „Facebook-Vertrags“. Dieser sei vor allem nicht höchstpersönlicher Natur. Die Pressestelle des BGH teilt hierzu mit:
„Zwar mag der Abschluss eines Nutzungsvertrags mit dem Betreiber eines sozialen Netzwerks in der Erwartung erfolgen, dass die Nachrichten zwischen den Teilnehmern des Netzwerks jedenfalls grundsätzlich vertraulich bleiben und nicht durch die Beklagte dritten Personen gegenüber offengelegt werden. Die vertragliche Verpflichtung der Beklagten zur Übermittlung und Bereitstellung von Nachrichten und sonstigen Inhalten ist jedoch von vornherein kontobezogen. Sie hat nicht zum Inhalt, diese an eine bestimmte Person zu übermitteln, sondern an das angegebene Benutzerkonto.“
Es bestehe kein schutzwürdiges Interesse daran, dass nur der Kontoinhaber und nicht auch Dritte von dem Kontoinhalt Kenntnis erlangen.
Digitaler Nachlass = analoger Nachlass
Des Weiteren scheide eine Differenzierung nach vermögenswerten und höchstpersönlichen Inhalten aus. So gingen nach der gesetzgeberischen Wertung auch Rechtspositionen mit höchstpersönlichen Inhalten auf die Erben über. Dies sei zum Beispiel bei Tagebüchern und Briefen nach § 2047 Abs. 2 BGB und nach § 2373 S. 2 BGB der Fall. Es bestehe daher aus erbrechtlicher Sicht kein Grund dafür, digitale Inhalte anders zu behandeln.
Darüber hinaus sei die Vererblichkeit auch nicht aufgrund des postmortalen Persönlichkeitsrechts der verstorbenen Tochter ausgeschlossen. Weiterhin stehe auch das Fernmeldegeheimnis einer Vererblichkeit des Facebook-Kontos nicht entgegen. Da der Erbe – juristisch betrachtet – vollständig in die Position des Erblassers eintrete, sei er jedenfalls nicht „anderer“ im Sinne des § 88 Abs. 3 TKG.
Zu guter Letzt beschäftigte sich der BGH mit der Frage, ob der Datenschutz mit dem Anspruch der Mutter auf Zugangsgewährung zu dem Facebook-Konto ihrer Tochter kollidieren könnte. Hierbei hatte der BGH die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) anzuwenden. Die Karlsruher Richter stellten fest, dass datenschutzrechtliche Belange der Erblasserin – der Tochter – nicht betroffen seien, da die DSGVO nur lebende Personen schütze. Zwar würden auch zwangsläufig personenbezogene Daten der Chat-Partner der Verstorbenen verarbeitet, dies sei jedoch sowohl nach Art. 6 Abs. 1 lit. b) DSGVO – zur Erfüllung des „Facebook-Vertrags“, in den die Mutter als Erbin einrücke – als auch nach Art. 6 Abs. 1 lit. f) DSGVO aufgrund berechtigter überwiegender Interessen der Erben zulässig (BGH, Urteil v. 12.07.2018, Az. III ZR 183/17).
(Quelle: Pressemitteilung)
Fazit
In unserem Artikel
zu dem Thema hatten wir uns gefragt, ob der Schutz der Kommunikationspartner der Verstorbenen durch das Fernmeldegeheimnis und seiner einfachgesetzlichen Ausprägung in § 88 Abs. 3 S. 3 TKG der Vererblichkeit des Facebook-Kontos entgegensteht. Die Pressemitteilung des BGH lässt zwar erkennen, dass die Karlsruher Richter den digitalen Nachlass dem analogen Nachlass zum Beispiel in Form von Briefen gleichstellen, nicht erkennbar ist jedoch der genaue Grund, warum das Fernmeldegeheimnis dem Anspruch der Mutter nicht entgegenstehen soll. Man darf daher auf die Veröffentlichung des Volltextes der Entscheidung gespannt sein.
Fest steht bereits jetzt, dass die Entscheidung des BGH Klarheit im Bezug auf den allgemeinen Umgang mit dem digitalen Nachlass schafft. Zwar verhandelte der BGH über die Vererblichkeit eines Facebook-Kontos auf Grundlage des „Facebook-Vertrages“. Die Überlegungen dürften jedoch auch auf ähnliche Sachverhalte – wie beispielsweise auf Verträge mit E-Mail- oder einem Cloud-Providern anwendbar sein.