Gericht muss auf Irrtümer der Parteien hinweisen, auch wenn der Gegner darauf bereits „hingewiesen“ hat
Der ZPO-Blog weist heute in einem lesenswerten Beitrag auf einen landläufigen Irrtum im Zivilprozessrecht hin, der sogar von Oberlandesgerichten perpetuiert wird.
Umfang der Hinweispflichten
Gem. § 139 PZO muss hat das Gericht
- durch Hinweise dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen sowie
- eine Partei auf einen Gesichtspunkt hinzuweisen, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, wenn dieser für die Entscheidung relevant ist.
Niederlage nur mit Vorwarnung
Hintergrund dieser Regelung ist, dass eine Partei, die den Sachverhalt oder die Rechtslage offenbar verkannt hat, den Rechtsstreit nicht nur deswegen verlieren soll, weil sie im Vertrauen auf diese falsche Einschätzung für sie günstigen Vortrag unterlässt. Die Parteien des Rechtsstreits können somit in gewissem Umfang darauf vertrauen, auf solche Irrtümer vom Gericht – zum Beispiel in der mündlichen Verhandlung – hingewiesen zu werden bzw. darauf, einen Rechtsstreit nicht alleine wegen eines solchen Irrtums ohne Vorwarnung zu verlieren.
In den Gründen einer – häufig überraschend – negativen gerichtlichen Entscheidung, müssen betroffene Parteien jedoch häufig lesen, dass sie sich zwar in einem gem. § 139 ZPO relevanten Irrtum befunden haben mögen, das Gericht dennoch nicht zu einem Hinweis verpflichtet gewesen sei, weil die betroffene Partei bereits durch den Prozessgegner „die gebotene Unterrichtung erhalten“ habe oder „über die Rechtslage unterrichtet war“ (jüngere Rechtsprechungsnachweise dazu im ZPO-Blog).
Gegnerischer Interessenvortrag ≠ gerichtlicher Hinweis
Benedikt Windau weist in seinem ZPO-Blog nun zu recht – zusammengefasst – darauf hin, dass dies bereits deshalb falsch ist, weil der „Hinweis“ durch den „parteiischen“ Gegner eine völlig andere Qualität hat, als der des „unparteiischen“ Gerichts:
Die „hinweisbedürftige“ Partei darf zu Recht annehmen, dass der Gegner völlig andere Interessen verfolgt und allein deshalb anderer Ansicht ist (so ausdrücklich auch Nober/Ghassemi-Tabar: NJW 2017, 3265, 3266, ebenso Rensen, MDR 2006, 366, 367). Aufgrund dieser erkennbar anderen Interessenlage muss die betroffene Partei rechtlichen Ausführungen und „Hinweisen“ des Gegners nicht die gleiche Bedeutung beimessen, wie Hinweisen des Gerichts.
Am Rande weist Windau – übrigens selbst Richter und daher wohl aus Erfahrung – darauf hin, dass insbesondere der bei Anwälten sehr beliebte Hinweis, der gegnerische Parteivortrag nicht schlüssig sei, nicht nur prozessual unbeachtlich, sondern auch prozesstaktisch unklug sein dürfte.
Denn ihren Vortrag kann die Partei – im Rahmen der Verstpätungsregeln – nämlich jederzeit nachbessern.