Händler auf verlorenem Posten: Keine Hilfe von deutschen Gerichten gegenüber Amazon
Jeder Händler kennt es: Ein unzufriedener Kunde gibt eine überspitzte oder unwahre negative Bewertung bzw. Beschwerde ab. Die Folge mehrerer solcher negativen Bewertungen kann auf der Onlineplattform Amazon die Entfernung der vom Händler eingestellten Produkte sein. Wenn der Händler nun aber dagegen vorgehen möchte, weigert sich Amazon die Identität der Kunden offenzulegen. Eine Gegendarstellung ist so kaum möglich.
Im vorliegenden Fall hat ein Händler gegen Amazon auf Bestandsdatenauskunft vor einem deutschen Gericht geklagt. Der Händler hatte einige Produkte auf Amazon eingestellt. Nach-dem mehrere Produkte negative Bewertungen erhalten hatten, entfernte Amazon diese Ver-kaufsangebote unter Berufung auf die eigene Angebotsrichtline. Die Identität der Kunden gab Amazon nicht Preis. Der Händler begehrt die Bestandsdatenauskunft der Kunden, welche die negativen Kommentare verfasst haben, um sich gegen diese zu verteidigen. Das deutsche Gericht sagt jedoch, dass es nicht zuständig ist (BGH, Beschluss vom 28. September 2023 – II ZB 25/21).
I. Die Parteien
Bei Onlineplattformen wie Amazon kommt es grundsätzlich zu einer Art Dreiecksverhältnis (Mehrpersonenverhältnis). Auf der einen Seite steht der Händler – dieser hat seinen Sitz in Deutschland -, er steht in einem Vertragsverhältnis mit Amazon, welches ihm gegen eine „Grundgebühr“ sowie einer Verkaufsprovision ermöglicht, seine Produkte auf der Verkaufs-plattform mit eigenen Produktbildern und -beschreibungen einzustellen und zu verkaufen. Der Sitz von Amazon ist in Luxemburg. Die dritte Partei ist der Kunde – wohnhaft in Deutschland –, dieser hat ein Benutzerkonto bei Amazon und kann über dieses Verträge mit dem Händler abschließen. Nach erfolgtem Kauf, hat der Kunde die Möglichkeit eine Bewertung des Produk-tes an Amazon zu senden. Amazon selbst wird im Rahmen dieses Kaufvertrages kein Ver-tragspartner. Dennoch erfährt der Händler im Fall von Bewertungen der verkauften Produkte nicht, wer diese geschrieben hat, obwohl er der Vertragspartner ist und nicht Amazon.
II. Was sind Bestandsdaten und wann darf eine Auskunft eingeholt werden?
Bei Bestandsdaten handelt es sich um personenbezogene Daten. Sie umfassen grundsätzlich den Namen und die Anschrift sowie die Kontaktdaten eines Kunden.
Die Bestandsdatenauskunft war bis zum 30.11.2021 in § 14 Abs. 3 bis 5 Telemediengesetz (TMG) geregelt. Sie wurde jedoch im Anschluss an die Aufhebung des § 14 TMG übergangs-los in den § 21 Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetz (TTDSG) überführt.
Grundsätzlich ist die Bestandsdatenauskunft die Verpflichtung der Telemedienanbieter, den jeweils zuständigen Stellen Auskunft über die bei ihnen gespeicherten Kundendaten zu ertei-len, wenn dies für die Verfolgung von Straftaten, die Gefahrenabwehr oder die Erfüllung der gesetzlichen Aufgabe des Bundes- oder Landesverfassungsschutz erforderlich ist. Darüber hinaus darf ein Telemedienanbieter auch im Einzelfall Auskunft über vorhandene Bestandsda-ten erteilen, wenn und soweit dies zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund von rechtswidrigen Inhalten, welche entwe-der von § 10a Abs. 1 TMG oder von § 1 Abs. 2 Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) er-fasst sind, erforderlich ist (§ 21 Abs. 2 TTDSG). Erfasst von § 1 Abs. 2 NetzDG sind u.a. Straf-taten, die den demokratischen Rechtsstaat gefährden, Verbreitung von kinderpornographi-schen Inhalten, die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlich-keitsrechten durch Bildaufnahmen, Bedrohungen, Fälschung beweiserheblicher Daten, aber auch Beleidigungen, üble Nachrede oder Verleumdung (§§ 185 bis 187 StGB).
Eine Auskunftserteilung ist jedoch erst dann gestattet, wenn diese zuvor gerichtlich angeord-net wurde (§ 21 Abs. 3 TTDSG). Das heißt, dass der Telemedienanbieter nicht ohne weiteres die Bestandsdaten preisgeben darf.
Bei dem Gestattungsverfahren nach § 21 TTDSG (ehem. § 14 Abs. 3 bis 5 TMG) handelt es sich um eine Zivilsache i.S.v. Art. 1 Abs. 1 Brüssel-Ia-VO (EuGVVO). In der EuGVVO wird die gerichtliche Zuständigkeit geregelt, sofern die Streitigkeit Zivil- oder Handelssachen betrifft. Grundsätzlich ist der Beklagte am Wohnsitz – bei einer Firma an deren Sitz – zu verklagen. Soll jedoch ausnahmsweise an einem anderen Ort Klage erhoben werden, ist Art. 7 EuGVVO zu beachten.
III. Wann kommt ein anderer Gerichtsstand in Frage?
1. Art. 7 Nr. 1 EuGVVO
Eine Person, die ihren Wohnsitz in der EU hat, kann gem. Art. 7 Nr. 1 lit. a EuGVVO in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, wenn am Ort des (anderen) Gerichtes die Verpflich-tungen oder Ansprüche aus einem Vertrag hätten erfüllt werden müssen oder zu erfüllen ge-wesen wären. Hier wird jedoch nicht eine Hauptpflicht aus dem Vertrag zwischen Amazon und dem Händler geltend gemacht – eine solche würde sich auf die Einstell- und Verkaufsmög-lichkeit bzw. die Bezahlung der Gebühren beziehen – sondern eine Nebenpflicht. Der unge-schriebene Auskunftsanspruch ergibt sich als Nebenpflicht aus dem geschlossenen Vertrag über die Nutzung der Verkaufsplattform. Ausschlaggebend für den Gerichtsstand ist jedoch der Schwerpunkt des Vertrages. Im Fall von Amazon handelt es sich um einen Dienstleis-tungsvertrag i.S.d. Art. 7 Nr. 1 lit. b EuGVVO.
Nach Art. 7 Nr. 1 lit. b zweiter Spiegelstrich EuGVVO ist der Erfüllungsort bei der Erbringung von Dienstleistungen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem die Dienstleistung vertragsgemäß erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen. Die Dienstleistung von Amazon wird in Luxemburg erbracht. Es handelt sich um einen einheitlichen Erfüllungsort, da die tech-nische und geschäftliche Kontrolle über die Erbringung der vertraglich geschuldeten Leistung ausschließlich in Luxemburg ausgeübt wird. Der besondere den Vertragsgerichtsstand be-gründende Erfüllungsort liegt somit in Luxemburg. Vertragliche Bestimmungen, aus welchen sich ein abweichender Erfüllungsort ergibt, gibt es keine, auch ist kein abweichender Ort als Ort für die hauptsächliche Leistungserbringung ersichtlich.
An dieser Stelle kristallisiert sich das Problem bereits sehr deutlich heraus. Der Erfüllungsort der Dienstleistung von Amazon ist in Luxemburg. Der Leistungs- und Erfüllungsort des Kauf-vertrages ist jedoch in Deutschland. Zuständig für Ansprüche aus dem Kaufvertrag wären demnach die deutschen Gerichte. Zuständig für den Auskunftsanspruch gegenüber Amazon, der aus dem Dienstleistungsvertrag als Nebenpflicht erwächst, ist jedoch das Gericht in Lu-xemburg.
2. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO
Fraglich war auch, ob eine Zuständigkeit des deutschen Gerichtes über Art. 7 Nr. 2 EuGVVO erreicht werden kann. Da bei Zivilsachen gem. Art. 4 Abs. 1 EuGVVO grundsätzlich das Ge-richt am Sitz der Firma (Gegenpartei) zuständig ist, sind besondere oder ausschließliche Zu-ständigkeitsregeln nur als Ausnahmen für abschließend aufgeführte Fälle vorgesehen. Sie sind deshalb eng auszulegen und erlauben keine über die in der Verordnung ausdrücklich genannten Fälle hinausgehende Interpretation
Gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO kann eine Person, die ihren (Wohn-)Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates hat, in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus dieser Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden. In diesen Fällen ist das zuständige Gericht am Ort an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzu-treten droht.
Eine unerlaubte Handlung i.S.d. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO liegt laut Aussage des Gerichts nicht vor, da Amazon nur als Dritter eine ehrverletzende Aussage erhalten und zur Kenntnis ge-nommen habe. Selbst habe Amazon keine ehrverletzende Äußerung getätigt. Eine allgemeine „Annexzuständigkeit“ eines Dritten (Amazon) ergibt sich nicht schon durch die Konstellation in der die Parteien zueinander stehen.
Art. 7 Nr. 2 EuGVVO umfasst nach ständiger Rechtsprechung des EuGH nur solche Klagen, bei denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht werden soll, die nicht an einen Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag im Sinne des Art. 7 Nr. 1 lit. A EuGVVO anknüpft. Daraus folgt, dass die Zuständigkeitsnormen Art. 7 Nr. 1 lit. a und Nr. 2 EuGVVO unabhängig voneinander zu verstehen und unter Berücksichtigung der Systematik und Ziele der EuGVVO auszulegen sind. Nur so ist eine einheitliche Anwendung in allen Mitgliedstaaten sichergestellt. Ziel der EuGVVO ist vor allem der Zugang zum Recht und die Anerkennung der Entscheidungen in Zivilsachen zu erleichtern, darunter fällt auch die Regelung der Zuständig-keit des Gerichtsstandes. Der besondere Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO ist gerecht-fertigt, da eine besonders enge Beziehung zwischen dem Gericht des Ortes an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist bzw. einzutreten droht und der Streitigkeit besteht.
Eine Vertragsbeziehung schließt jedoch eine Anwendbarkeit des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO auf-grund einer „unerlaubten Handlung“ nicht grundsätzlich aus. Es ist zwingend notwendig den Inhalt des geschlossenen Vertrages zu prüfen, um zu beurteilen, ob das vorgeworfene Verhal-ten rechtmäßig oder rechtswidrig ist, da diese Verpflichtung unabhängig von diesem Vertrag besteht.
Vorliegend lag jedoch keine unerlaubte Handlung nach den Grundsätzen des EuGH vor, wel-che die Zuständigkeit des deutschen Gerichtes begründet hätte vor. Offen gelassen wurde inwieweit das Auskunftsverlangen vertraglicher Art ist und der Antrag damit vertraglich anzu-knüpfen ist, da die unerlaubte Handlung nicht von Amazon also der Verfahrensbeteiligten selbst ausgeübt wurde. Die unerlaubte Handlung wurde vom Urheber der Kundenbeschwerde, also dem Kunden selbst, vollzogen. Der „handelnde“ Kunde (Nutzer) muss – anders als das „zur Kenntnis nehmende“ Amazon (Anbieter) – gemäß § 21 Abs. 4 TTDSG auch nicht am Auskunftsverfahren beteiligt werden. Daher kann auch das Verhalten eines nicht am Verfah-ren beteiligten deutschen Kunden keine besonders enge Beziehung zu den deutschen Gerich-ten herstellen, da die direkt am Verfahren beteiligte Antragsgegnerin ihren Sitz in Luxemburg hat.
Ebenfalls sieht das Gericht in der Handlung von Amazon unwahre Kundenbeschwerden zu veröffentlichen und damit den Verkäufer einer kreditschädigenden Manipulation auszusetzen, keine unerlaubte Handlung i.S.v. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO.
3. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO – Hilfsanspruch zur Durchsetzung des Hauptanspruchs –
Auch das Vorbringen, dass der Auskunftsanspruch tatsächlich nur als „Hilfestellung“ geltend gemacht wird, damit ein Verfahren zur Durchsetzung des deliktsrechtlichen „Hauptanspruchs“ gegen den Verfasser der unwahren Kundenbeschwerde überhaupt erst möglich wird, hatte keinen Erfolg. Nach Auffassung des Gerichts würde eine solche Verknüpfung dazu führen, dass die internationale Zuständigkeit mittels Beurteilungskriterien bestimmt wird, welche dem nationalen Recht zu entnehmen sind. Dies läuft jedoch konträr zum Grundsatz der autonomen Auslegung der unionsrechtlichen Zuständigkeitsvorschriften sowie dem von der EuGVVO ver-folgten Ziel der Vereinheitlichung der Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit und Rechtssicherheit.
IV. Fazit und Kritik
In Auskunftsverfahren gibt es keine besondere gerichtliche Zuständigkeit in Deutschland, wenn der zur Auskunft verklagte Telemedienanbieter (Amazon) seinen Sitz in einem anderen europäischen Mitgliedsstaat hat und dort ebenfalls der Mittelpunkt seiner (Dienst-) Leistungs-erbringung liegt. Sofern die unerlaubte Handlung nicht vom Anbieter selbst vollzogen wurde und der Schaden am Ort des (Wunsch-) Gerichts eintritt, ist auch kein besonderer Gerichts-stand aufgrund von unerlaubter Handlung einschlägig. Ein solcher kommt nur durch die be-sondere Beziehung der unerlaubten Handlung sowie des Schadenseintritts am Ort des Ge-richts zustande.
Auch hier sieht man wieder ein schönes Beispiel wie Amazon sich gekonnt aus der Affäre zieht. Sicherlich kann man argumentieren, dass sie juristisch aufgrund der Regelungen der EuGVVO Recht haben und die Zuständigkeit in Luxemburg liegt, jedoch sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass Amazon dadurch, dass sie die Empfänger von Bewertungen und Beschwerden über Vertragsvorgänge sind, an welchen sie überhaupt nicht beteiligt waren und anhand dieser Beschwerden die Verkäufer „bestrafen“ ohne, dass diese sich tatsächlich rich-tig wehren können, eine signifikante Rolle in der Beziehung zwischen Verkäufer und Käufer annimmt. Es geht an dieser Stelle nicht darum, dass der Verkäufer die Möglichkeit bekommen soll negative Bewertungen ohne weiteres zu entfernen, vielmehr geht es darum, dass der Ver-käufer als Vertragspartner nicht den Zugriff auf die Daten seines Vertragspartners hat und sich diese erst mühsam im Ausland erkämpfen muss. Während dieser Zeit hat er, aufgrund der gelöschten Waren, enorme Umsatzeinbußen hinzunehmen, da er mangels genauer Kunden-daten nicht gezielt auf Anschuldigungen reagieren kann. Eine Verfolgung der Auskunftsrechte in Luxemburg, die natürlich möglich ist, ist jedoch mit viel mehr bürokratischen und auch kos-tentechnischen Hürden verbunden, als eine Verfolgung im eigenen Land, zumal die unerlaub-te Handlung und der Vertrag im eigenen Land zustande gekommen sind. Falsche Bewertun-gen stellen eine Pflichtverletzung des Kaufvertrages dar. An dieser Stelle sollte hinterfragt werden, ob Amazon nicht doch, aufgrund der signifikanten Rolle zwischen den Vertragspartei-en (ist im Besitz Daten der Käufer, veröffentlicht Bewertungen, handelt aufgrund dieser), in gewisser Form ein „Mittelsmann“ im Vertrag geworden ist und aufgrund dieser Position der Gerichtsstand anhand der Leistungsbeziehung Käufer-Verkäufer festgestellt werden sollte.
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