BGH: „Kinderzahnarztpraxis“ ist zulässige Werbung
Zahnarzt-Werbung: Was ist erlaubt, was nicht? Diese Frage wurde schon des Öfteren rechtlich erörtert und immer wieder wird die Ansicht vertreten, Zahnärzte dürften nicht oder nur beschränkt werben.
Nun befasste sich der BGH mit der Frage, ob ein Zahnarzt mit der Bezeichnung „Kinderzahnarzt“ werben darf, wenn er keine besonderen Fachkenntnisse im Bereich der Kinderzahnheilkunde oder Kinderpsychologie hat. Das Gericht in Karlsruhe kam zu dem Entschluss, es handele sich um zulässige Werbung.
Kontrolle des Internetauftritts
Eine Gemeinschaftszahnarztpraxis bewarb sich in ihrem Internetauftritt als „Kinderzahnarztpraxis“ und versprach dem Kind und seinen Eltern unter anderem „Abenteuer im Wartezimmer“ und die Bereitschaft, auf die individuellen Bedürfnisse des Kindes bei der Behandlung einzugehen. Dies beanstandete die zuständige Zahnärztekammer und mahnte die Praxis wegen Irreführung des Verbrauchers ab. Die Aussage vermittle die Vorstellung besonderer fachlicher Qualifikationen in Form (kinder-)zahnärztlicher Kenntnisse.
Das Oberlandesgericht Düsseldorf als Berufungsgericht (OLG Düsseldorf, Urteil v. 12.11.2020, Az. I 20 U 87/19) verneinte dies. Das Gericht war der Ansicht, dass die angesprochenen Verkehrskreise die Angaben so verstünden, dass in der Praxis zahnärztliche Leistungen angeboten würden wie sie in jeder Zahnarztpraxis zu finden seien. Der Verbraucher erwarte von einer „Kinderzahnarztpraxis“ lediglich, dass sie bereit sei, Kinder mit ihren besonderen Bedürfnissen zu behandeln und über eine besonders kindgerechte Praxisausstattung verfüge. Sie hätten jedoch nicht die Vorstellung, dass die behandelnden Ärzte über besondere fachliche Kenntnisse der Zahnheilkunde verfügten.
BGH: Kindgerechte Ausstattung erwartet
Die Zahnärztekammer verlangte daraufhin vor dem Bundesgerichtshof (BGH; Urteil v. 07.04.2022, Az. I ZR 217/20) die Unterlassung dieser Werbung – jedoch ohne Erfolg! Der Durchschnittsverbraucher, so die Karlsruher Richter, verstehe unter einer Kinderzahnarztpraxis, dass Zahnärzte die Praxis kindgerecht ausstatten und dass sie bereit sind, auf ihre kleinen Patienten in besonderer Weise einzugehen. Besondere Fachkenntnisse im Bereich der Kinderzahnheilkunde oder Kinderpsychologie erwarte der Werbeadressat, sprich der Leser der Angaben, nicht. Ohnehin sei zweifelhaft, ob dem Durchschnittsverbraucher bekannt sei, welche Voraussetzungen zum Erwerb des Titels „Fachzahnarzt“ erfüllt werden müssen. Aus diesen Gründen liege eine Irreführung im Sinne der §§ 3, 5 Abs. 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) nicht vorher.
Denn nach § 5 Abs. 1 S. 1 UWG handelt unlauter, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Damit wird gefordert, dass jedes unternehmerische Wirken dem Wahrheitsgrundsatz entsprechen muss und nicht darauf ausgelegt sein darf, Verbraucher, Mitbewerber oder andere Marktteilnehmer durch unrichtige Angaben zu täuschen. Eine Irreführung liegt also immer dann vor, wenn das Verständnis, das eine Angabe bei den Verkehrskreisen erweckt, mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht übereinstimmt.
Hier sei laut der Karlsruher Richter auf die Eltern abzustellen, die für ihre Kinder einen Zahnarzt suchten oder auf ältere Kinder, die bereits selbständig zahnärztliche Leistungen nachfragten oder über den behandelnden Arzt (mit)entscheiden. Die Angabe „Kinderzahnarztpraxis“ täusche allerdings nicht über die Person oder Befähigung der Praxis. Der konfrontierte Verbraucher habe als Elternteil nämlich zunächst die Problematik vor Augen, dass Zahnarztbesuche mit Kindern schwierig sein könnten. So könne eine Einrichtung, die wenig Spielmöglichkeiten biete, Wartezeiten erschweren und das Erscheinungsbild einer üblichen Arztpraxis wegen früherer, von den Kindern als unangenehm empfundener Arztbesuche zu Abwehrreaktionen führen. Auch könnten bei Kindern in größerem Maße als üblicherweise bei Erwachsenen vertrauensbildende Maßnahmen erforderlich seien, so die Richter.
Fachliche Eignung wird vorausgesetzt
Die Situation eines Zahnarztbesuchs mit Kindern ähnele damit in gewisser Weise der Behandlung sogenannter Angstpatienten, die gerade im zahnärztlichen Bereich solche Praxen aussuchten, die ihre emotionale Disposition besonders berücksichtigten. Den Eltern komme es vor allem auf eine kindgerechte Praxisausstattung und die Aufgeschlossenheit des Zahnarztes an. Dessen fachliche Eignung werde als selbstverständlich vorausgesetzt.
Berufsordnung nicht maßgeblich
Vergeblich rügt die Zahnärztekammer, das Oberlandesgericht Düsseldorf habe die aus § 13 der Berufsordnung der Zahnärztekammer Nordrhein und § 8 der Weiterbildungsordnung folgende Dreiteilung in „einfache“ approbierte Zahnärzte, Zahnärzte mit ausgewiesenem Tätigkeitsschwerpunkt und Fachzahnärzte bei der Ermittlung der Verkehrsauffassung nicht berücksichtigt.
Der BGH führt aus, die Düsseldorfer Richter hätten durchaus berücksichtigt, dass ein Zahnarzt nach der Berufsordnung einen Tätigkeitsschwerpunkt bezeichnen oder einen Fachzahnarzt erwerben könne, wenn er zuvor die spezifischen Weiterbildungen absolviere. Aus der Berufsordnung folge aber nicht zwangsläufig, dass der Verkehrskreis annehme, in einer Kinderzahnarztpraxis arbeite ein Zahnarzt, der einen Fachzahnarzttitel für Kinderheilzahnkunde erworben habe. Denn den gebe es gar nicht. Die Karlsruher Richter fanden es nicht erfahrungswidrig, dass die Berufsordnung eines so kleinen Berufsfeld das Verkehrsverständnis nicht prägt.
Werbung zulässig
Festzuhalten ist, dass für die Frage, wie eine Werbung verstanden wird, gemäß § 3 Abs. 4 S. 1 UWG auf die Sichtweise des durchschnittlich informierten, situationsadäquate aufmerksamen und verständigen Verbrauchers abzustellen ist, der zur angesprochenen Gruppe gehört. So gehe der Verbraucher bei einem Kinderzahnarzt lediglich davon aus, dass die Praxis kindgerecht eingerichtet ist und die Zahnärzte bereits sind, bei der Behandlung auf die besonderen Bedürfnisse einzugehen.