Wenn der Gerichtsvollzieher die zweite Seite der Antragsschrift nicht zustellt – Zu den Schwierigkeiten des einstweiligen Verfügungsverfahrens, Teil 2
Das Landgericht Berlin hat aktuell einen Antrag auf einstweilige Verfügung zurückgewiesen (LG Berlin, Urteil v. 7.8.2018, Az. 103 O 25/18, nicht rechtskräftig).
Die Entscheidung ist interessant. Allerdings nicht mit Blick auf materielle Rechtsfragen, sondern auf die prozessualen Besonderheiten des einstweiligen Verfügungsverfahrens – hier das Vollziehungserfordernis, an dem die Antragstellerin wegen eines Fehlers des Gerichtsvollziehers scheiterte.
Die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen ist nicht einfach
Die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen, wie sie im Markenrecht, Wettbewerbsrecht, Urheberrecht und Persönlichkeitsrecht hauptsächlich Gegenstand von Streitigkeiten sind, ist schwierig.
Da ist einmal die Antragsfassung. Der Unterlassungsantrag stellt im gewerblichen Rechtsschutz den Kern des prozessualen Vorgehens dar und ist in der Praxis Quelle zahlreicher Fehler. Falsche Formulierungen können – wie im allgemeinen Zivilrecht auch – dazu führen, dass das angerufene Gericht den Antrag bei einer Zuvielforderung – mit den entsprechenden Kostenfolgen – teilweise zurückweist oder bei Zurückbleiben hinter dem gesetzlichen Anspruch zu wenig zuspricht.
Darüber hinaus besteht bei einem Unterlassungsantrag zusätzlich die große Gefahr, dass dieser aufgrund von Formulierungsfehlern an dem Anspruch beziehungsweise berechtigten Begehren des Gläubigers vollständig vorbeigeht und deshalb als unbegründet abgewiesen werden muss. Schließlich geschieht es in der Praxis nicht selten, dass Anträge sogar allein deshalb abgewiesen werden, da diese aufgrund Unbestimmtheit unzulässig sind.
Das einstweilige Verfügungsverfahren ist kompliziert
Ein großer Teil der Streitigkeiten im gewerblichen Rechtsschutz wird zudem nicht im Klageverfahren, sondern im einstweiligen Verfügungsverfahren geführt und letztendlich im sogenannten Abschlussverfahren auch endgültig erledigt. Vor dem Hintergrund stets zu beachtender kurzer Verjährungs- und Dringlichkeitsfristen und zahlreicher Spezialvorschriften scheitert die Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen im Eilverfahren auch bei eindeutiger Rechtslage nicht selten allein aus formellen Gründen.
Elementare Voraussetzung für eine einstweilige Verfügung ist die Dringlichkeit der Angelegenheit, deren Spanne je nach angerufenem Gericht zwischen 1 und 3 Monaten liegt. Sie wird zu Gunsten des Gläubigers zwar widerleglich vermutet. Kann der Schuldner allerdings darlegen, dass der Gläubiger den Verstoß schon früher kannte oder hätte kennen müssen, muss der Verfügungsantrag ohne Rücksicht auf die materielle Rechtslage zurückgewiesen werden.
Das einstweilige Verfügungsverfahren ist nichts für Anfänger. Der schönste materiellrechtliche Anspruch kann hier schon aufgrund kleiner Fehler schnell kostenträchtig zerbröseln. In den folgenden vier Artikeln haben wir einige Probleme an tatsächlichen Fällen aus unserer Praxis bereits beleuchtet:
- Ordnungsmittelantrag und Dringlichkeit – Zu den Schwierigkeiten des einstweiligen Verfügungsverfahrens
- Die Unterlassung der Unterlassung: Keine Dringlichkeit bei doppelter Verneinung im Antrag
- Nicht dringlich, unzulässig, unbegründet – Zu den Schwierigkeiten des Unterlassungsantrags im gewerblichen Rechtsschutz
- Mehr ist weniger – Die Antragsfassung beim Unterlassungsanspruch
Hintergrund des aktuellen Falls
Ein Ebay-Händler von allemöglichem Krimskrams (und damit für den ihn vertretenden Anwalt komfortablerweise potentieller Mitbewerber vieler anderer Onlinehändler), der seinerzeit mit einer regelrechten Abmahnwelle gegen unterschiedliche Konkurrenten auf sich aufmerksam machte, hatte in einem aktuellen Fall mit diesen prozessualen Schwierigkeiten zu kämpfen.
Er hatte sich daran gestört, dass ein Mitbewerber (der im übrigen ansonsten auf Getränke und Lebensmittel spezialisiert war) auf Ebay eine Zahnpastatube in der Verpackungsgröße 75 ml zu einem Einzelpreis von 9,99 € angeboten und dabei die Angabe des Grundpreises vergessen hatte. Über seinen Anwalt forderte der Konkurrent zunächst per Abmahnung eine Unterlassungserklärung und eine Kostenerstattung auf Basis eines Streitwerts von 10.000 € und damit 745,40 € netto.
Nachdem die gewünschte Unterwerfung ausblieb, beantragte der Händler eine einstweilige Verfügung vor dem Landgericht Berlin, die auch erlassen wurde.
Die Verfügung wurde nicht ordnungsgemäß vollzogen
Danach ging allerdings eine wichtige Sache schief.
Eine einstweilige Verfügung muss vollzogen werden, damit der Antragsgegner weiß, dass der Antragsteller auch wirklich vorhat, das Verbot durchzusetzen und ihm bei Nichtbefolgung das angedrohte Ordnungsgeld von bis zu 250.000 € oder gar Haft drohen. Die Vollziehung muss zwar nicht, wird aber im Regelfall durch eine Zustellung per Gerichtsvollzieher vorgenommen.
Die Antragsteller schickte diesem zu diesem Zwecke eine Ausfertigung der einstweiligen Verfügung, der diese dann in Regel kopiert, die Kopie beglaubigt, also bestätigt, dass diese mit dem Original übereinstimmt, die Kopie an den Antragsgegner zustellt und das Original mit einem entsprechenden Vermerk zum Antragsteller zurückschickt.
So geschehen auch im vorliegenden Fall. Mit dem einzigen Unterschied, dass dem Gerichtsvollzieher bei der Herstellung der Kopie der einstweiligen Verfügung offenbar ein Fehler unterlaufen war. Es fehlte dort die zweite Seite der Antragsschrift, auf welcher der Verbotstenor Bezug nahm, so dass der Antragsgegner dem zugestellten Objekt gar nicht entnehmen konnte, was ihm eigentlich genau verboten worden war.
Eine unvollständige Zustellung der einstweiligen Verfügung führt in aller Regel zur Unwirksamkeit der Zustellung. Dies – aus Schuldnerschutzgründen – sogar dann, wenn den Antragsteller, wie im vorliegenden Fall, keine Schuld trifft und nur der Gerichtsvollzieher einen Fehler gemacht hat. Dem Gericht blieb somit auf den von der Antragsgegnerin eingelegten Widerspruch hin, nichts anderes übrig, als die einstweilige Verfügung mangels ordnungsgemäßer Vollziehung, somit aufgrund eines bloßen Formfehlers, aufzuheben.
Fazit
Die Geltendmachung von wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen ist – anders als es insbesondere in der aktuellen Diskussion um angeblichen Abmahnmissbrauch den Anschein macht – auch noch nach Abmahnung und erfolgreichem Verfügungsantrag alles andere als einfach.
Abgesehen davon, dass der landläufige und von den Medien immer wieder kolportierte Eindruck falsch ist, dass „Abmahner“ bzw. deren Anwälte nebenbei irgendwelche Flüchtigkeitsfehler im Impressum oder in der Widerrufsbelehrung zu Geld machen könnten, erfordert die Verfolgung von Unterlassungsansprüchen ausgiebige Kenntnis der einschlägigen Vorschriften und Rechtsprechung. Nach der Abmahnung muss nicht nur ein adäquater Verfügungsantrag gestellt, sondern auch sichergestellt werden, dass der Titel prozessual ordnungsgemäß zum Einsatz gebracht wird.
Mitbewerber, die nur darauf aus sind, ihrer anwaltlichen Vertretung das schnelle Geld zu verschaffen, scheitern häufig bereits an diesen Formalien, ohne dass es dazu gesetzgeberischer Hilfe bedürfte.
Offenlegung: Unsere Kanzlei hat die Antragsgegnerin vertreten.