BGH: Irreführende Werbung für Kindermilch
Mit Urteil vom 02.06.2022 hat der BGH entschieden, dass ein Unterlassungsantrag, in dem mehrere Verletzungsformen durch die Formulierung „und/oder“ miteinander verknüpft sind, nur dann in vollem Umfang begründet ist, wenn hinsichtlich aller damit beanstandeter Handlungsformen sowohl in ihrer Kombination als auch für sich genommen ein Unterlassungsanspruch besteht.
Sieht ein Gericht nur eine von mehreren miteinander verbundenen Verletzungsformen als irreführend an, rechtfertigt dies jedoch nicht eine Abweisung des gesamten Unterlassungsantrags, sondern nur dessen teilweise Abweisung.
Unzulässige Werbemaßnahmen durch falsche Behauptung
Dem Urteil lag der folgende Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger ist der Dachverband aller Verbraucherzentralen. Die Beklagte ist ein Lebensmittelunternehmen. Sie vertreibt u.a. die Produkte „H. Kindermilch COMBIOTIK ab 1+ Jahr“ und „H. Kindermilch COMBIOTIK ab 2+ Jahr“. Auf ihrer Webseite bewarb sie diese Produkte mit einem abrufbaren Werbespot. Darin hieß es: „7 x mehr brauchst du als ich, wirst groß, gesund – ganz sicherlich“ und „7 x mehr Vitamin D, starke Knochen bis zum Zeh“. Beim Anklicken des dort jeweils blau hervorgehobenen Kästchens öffnete sich eine neue Seite, auf der sich die folgende Erläuterung befand: „Kleinkinder benötigen bis zu 3 x mehr Calcium und sogar 7 x mehr Vitamin D als Erwachsene pro kg Körpergewicht“.
Der Kläger sah darin unzulässige Werbemaßnahmen. Das LG gab der Unterlassungsklage statt. Das OLG wies sie im Berufungsverfahren ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Der BGH bejahte in seiner Urteilsbegründung eine Irreführung i.S.v. Art. 3 Unterabs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006.
Nach dieser Regelung dürfen nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben nicht falsch, mehrdeutig oder irreführend sein. Art. 3 Unterabs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 stellt eine Marktverhaltensregelung i.S.v. § 3a UWG dar. Die Missachtung der Regelung ist geeignet, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen. Insbesondere handelt es sich um eine spezielle Vorschrift für die Verwendung nährwertbezogener und gesundheitsbezogener Angaben bei Lebensmitteln, durch die allgemeine Regelungen keine Anwendung finden.
Gesamteindruck der Werbung ist maßgeblich
Nach ständiger Rechtsprechung ist für die Feststellung, welches Verständnis die im Klageantrag in der geschilderten Weise in Bezug genommene Werbeanzeige und etwaige dort getroffene Werbeaussagen bei dem angesprochenen Verkehr erwecken, der Gesamteindruck der Werbung zu würdigen und nicht lediglich auf einzelne Elemente abzustellen.
Nach Auffassung des BGH habe das Berufungsgericht sich nicht ausreichend damit befasst, dass die beiden Werbeaussagen jeweils unmittelbar über einer Abbildung der beiden damit beworbenen Kindermilch-Erzeugnisse platziert sind. Es habe sich daher auch nicht damit auseinandergesetzt, ob sich möglicherweise hieraus der Bezug des Verbrauchers zu den mit „du“ und „ich“ angesprochenen Personen sowie zu einem angeblich siebenfachen Bedarf an Vitamin D ergebe.
Ebenso habe das Berufungsgericht nicht berücksichtigt, dass sich unter den streitgegenständlichen Aussagen und den Abbildungen des beworbenen Kindermilch-Produkts ausweislich der Anlage des Klägers die Schriftzeile „Expertengespräch: Warum benötigt ein Kind 7 x mehr Vitamin D als ein Erwachsener?“ befinde.
Gesonderte Entscheidung über Unterlassungsanträge
Da das OLG sich mit diesen Elementen der Werbung nicht befasst habe, wurde auch nicht die elementare Frage thematisiert, ob der Verkehr die in der Anlage K1 abgebildete Werbung bei einer Gesamtbetrachtung nur dahingehend verstehen könne, dass die Beklagte suggeriert, Kinder hätten gegenüber Erwachsenen in der Gesamtmenge einen siebenfachen Bedarf an Vitamin D. Der BGH bejahte ein solches Verständnis, denn die Werbung erwecke bei den Konsumenten den Eindruck, dass Kinder, absolut gesehen, mehr Vitamin D benötigten als Erwachsene und diese pauschale Behauptung sei objektiv falsch. Jedoch basiere aber der ebenfalls behauptete positive Effekt für die Gesundheit auf dieser Behauptung, daher sei die Reklame irreführend. Ein Unterlassungsanspruch sei daher begründet.
Dies gelte nach Auffassung des BGH auch, wenn nur eine von mehreren miteinander verbundenen Verletzungsformen als irreführend angesehen werde. Dies rechtfertige nicht eine Abweisung des gesamten Unterlassungsantrags, sondern nur dessen teilweise Abweisung.
Greift eine Klagepartei verschiedene Angaben der beklagten Partei an und nimmt sie verbunden mit „und/oder“ in ihren Unterlassungsantrag auf, mache sie durch diese Art der Verbindung in der Regel deutlich, dass sie die einzelnen Angaben nicht nur in ihrer Kombination zur Überprüfung stellt, sondern auch für sich genommen, so der BGH.