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Volltext liegt vor: Böhmermann vor dem OLG Hamburg

Böhmermann OLG Hamburg Volltext
© Manuel Schönfeld – fotolia.com

Wir berichteten bereits auf Grundlage der Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Hamburg über dessen Entscheidung in der Causa Böhmermann. Die Entscheidung im Volltext beinhaltet im Vergleich zum erstinstanzlichen Urteil weitere interessante Aspekte.

Was bisher geschah

In der Satiresendung „extra3“ des Senders NDR vom 17.03.2016 wurde Kritik an der Politik des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan geäußert. Hierbei wurde insbesondere der Umgang Erdoğans mit seinen Kritikern und den Einschränkungen der Pressefreiheit in der Türkei bemängelt. Die Satiresendung „extra3“ äußerte ihre Kritik in Form eines Spottliedes. Das türkische Außenministerium bestellte daraufhin den deutschen Botschafter in Anakara ein, um sich über die besagte Folge der Satiresendung zu beschweren und eine solche Form der Darstellung des türkischen Staatsoberhauptes künftig zu unterbinden.

Jan Böhmermann – Moderator der Satiresendung „NEO MAGAZIN ROYALE“ – griff die Geschehnisse in der „NEO MAGAZIN ROYALE“-Ausgabe vom 31.03.2016 durch die Darbietung seines Schmähgedichts auf und verdeutlichte seine – von der Rechtsprechung ohne Zweifel gedeckte – Auffassung, dass die Folge der Satiresendung „extra3“ von der Kunst-, Presse- und Meinungsfreiheit gedeckt sei. Seine als Satire vorgetragene Aussage: Die eben genannten Freiheiten haben tatsächlich Grenzen, die seitens „extra3“ allerdings nicht überschritten wurden, weshalb die harsche Reaktion von Erdogan nicht gerechtfertigt war und als Zensurversuch wahrgenommen werden konnte. Kurz; Erdogan konnte sich gegen den Beitrag bei extra 3 nicht wehren. Und um ihm gleichzeitig aufzuzeigen, in welchen Fällen er sich auch als Staatsoberhaupt wehren kann und seine Reaktion dementsprechend gerechtfertigt gewesen wäre, trug Böhmermann sodann sein „Schmähgedicht“ über Erdoğan vor, das er vorweg als Schmähkritik bezeichnete. Um jeglichen Graubereich der nach den Vorgaben der Rechtsprechung weit ausgelegten Meinungsfreiheit zu verlassen und damit ohne Zweifel eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts darzustellen, beinhaltete das Schmähgedicht konsequenterweise nur äußerst heftige und damit eindeutig rechtsverletzende Beleidigungen und Schmähungen.

Der türkische Staatspräsident ging gerichtlich gegen das Schmähgedicht vor und machte einen Unterlassungsanspruch geltend. Zunächst erwirkte Erdoğan gegen Böhmermann vor dem Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung (LG Hamburg, Beschluss v. 17.05.2016, Az. 324 O 255/16), die im anschließenden Hauptsacheverfahren vor dem Landgericht Hamburg bestätigt wurde (LG Hamburg, Urteil v. 10.02.2017, Az. 324 O 402/16). Das Landgericht verbot Böhmermann die Mehrzahl der Verse seines „Schmähgedichts“ zu äußern oder äußern zu lassen. Den restlichen Teil des Schmähgedichts erachtete das Gericht als zulässig, so dass die Gesamtinszenierung „Schmähgedicht“ in zulässige und unzulässige Teile getrennt wurde.

Gegen das Urteil des LG Hamburg legten in der Folgezeit sowohl Erdoğan als auch Böhmermann Berufung vor dem Oberlandesgericht Hamburg ein.

Das Schmähgedicht: Kein einheitliches untrennbares Werk

Die Richter am hanseatischen Oberlandesgericht bestätigten nun das Urteil des LG Hamburg (OLG Hamburg, Urteil v. 15.05.2018, Az. 7 U 34/17). Insbesondere die erforderliche Abwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht Erdoğans und der Meinungsfreiheit Böhermmanns habe das Landgericht nach Ansicht des Hanseatischen Oberlandesgericht zutreffend vorgenommen.

Zunächst hob das OLG Hamburg hervor, dass der Ansicht Böhmermanns, das Schmähgedicht stelle eine Einheit dar, sodass einzelne Verse hieraus nicht verboten werden können, nicht zu folgen sei. Zwar möge ein Verbot eines ganzen Werks in Betracht kommen, wenn die beanstandeten Texteile für die Gesamtkonzeption des Werks oder für das Verständnis des mit ihm verfolgten Anliegens von Bedeutung seien. Allerdings müsse kein Gesamtverbot ausgesprochen werden. Das Verbot einzelner Verse belaste Böhmermann weniger, da sich hierbei bereits aus dem Verbotstenor ergebe, wegen welcher Teile des Gesamtwerks das Verbot ausgesprochen wurde. Eine Vertiefung dieser Argumentation erfolgte nicht, da die einzelnen Verse nach Ansicht des OLG kein einheitliches, untrennbares Werk darstellen.

Aufgrund der Tatsache, dass Böhmermann sein „Schmähgedicht“ nicht als Ganzes ohne Unterbrechung vortrug, sondern seinen Vortrag mehrmals unterbrach, um mit seinem Co-Autor darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem Gedicht um eine verbotene Sache handele, ging das Oberlandesgericht davon aus, dass es gerade nicht um die Präsentation eines einheitlichen Werks ging. Es handele sich vielmehr um eine Kaskade von Äußerungen, die jeweils für sich einen herabsetzenden Inhalt haben. Auch der Umstand, dass der Zusammenhang, in dem eine Äußerung falle, bei der Bestimmung von deren Inhalt berücksichtigt werden müsse, bedeute nicht, dass er mit dieser Äußerung eine äußerlich untrennbare Einheit bilde.

Eine Argumentation, die den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts widerspricht

Die Feststellung des Oberlandesgerichts Hamburg, dass das „Schmähgedicht“ keine Einheit bilde, widerspricht jedoch klar den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts:

„Künstlerische Äußerungen sind interpretationsfähig und interpretationsbedürftig. Ein unverzichtbares Element dieser Interpretation ist die Gesamtschau des Werks. Es verbietet sich daher, einzelne Teile eines Kunstwerks aus dessen Zusammenhang zu lösen und gesondert darauf zu untersuchen, ob sie als Straftat zu würdigen sind” (BVerfG, Beschluss v. 17.07.1984, Az. 1 BvR 816/82).

Das Hanseatische Oberlandesgericht verkennt in seiner Argumentation bereits, dass das zu beurteilende Gesamtwerk sich nicht allein in den Versen des Schmähgedichts erschöpft, sondern die gesamte Darbietung mitsamt der Inszenierung (türkische Flagge, Dialog mit Sidekick, etc.) das Gesamtwerk ausmachen. Die angeblichen Unterbrechungen des Werks „Schmähgedicht“ sind tatsächlich Teil des Gesamtwerks.

Auch die weitere Argumentation der Hamburger Richter, das Verbot einzelner Verse belaste Böhmermann weniger als ein Gesamtverbot, können unter Berücksichtigung dieser Vorgaben nicht überzeugen.

Das Schmähgedicht sei nicht Kunst im Sinne des Art. 5 Abs. 3 GG

Im Folgenden widmeten sich die Richter der Frage, ob das „Schmähgedicht“ als Kunst im Sinne des Art. 5 Abs. 3 GG anzusehen ist und so dem Schutzbereich der Kunstfreiheit unterfällt. Satire könne, müsse aber nicht Kunst in Sinne von Art. 5 Abs. 3 GG sein. Ein künstlerisches Werk sei dann gegeben,

„wenn es ein Produkt freier schöpferischer Gestaltung ist, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden, indem Intuition, Phantasie und Kunstverstand zusammenwirken; im Vordergrund des künstlerischen Werkes steht nicht primär die Mitteilung, sondern der Ausdruck, nämlich der unmittelbare Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers und seines inneren Erlebens (BVerfG, Beschluss v. 17.07.1984, Az. 1 BvR 816/82).“

Allein die Gestaltung der Sendung von Böhmermann mache deutlich, dass ihm und den weiteren Mitwirkenden etwas Derartiges zu bieten ersichtlich fern liege. Weder die Form der Darbietung noch der Inhalt der Texte spiegeln indessen ein individuelles Erleben des Beklagten, der sonstigen Mitwirkenden der Sendung oder des Autors der Verse wider. Es dominiere nicht nur das Element der Stellungnahme im öffentlichen Meinungskampf, der ganze Auftritt präsentiere sich als eine solche Stellungnahme, die keinen Anspruch darauf erhebe, das Geschehen und seine Verarbeitung auf eine höhere Ebene zu heben.

Das Schmähgedicht: Mehr als eine Stellungnahme im öffentlichen Meinungskampf?

Auch an dieser Stelle ist dem Gericht nicht zuzustimmen, denn das „Schmähgedicht“ und der Auftritt als Ganzes geht über eine Stellungnahme im öffentlichen Meinungskampf hinaus. Nicht allein die Versform des „Schmähgedichts“, sondern auch der auf der Metaebene angesprochene Gesamtzusammenhang und das Mittel der Abgrenzung in Verbindung mit maßloser Übertreibung sprechen für das Vorliegen von Kunst. Kunst kann und darf auch nach den Vorgaben der Rechtsprechung durchaus abstoßend und ordinär sein.

Als Fernsehschaffender und als Künstler bzw. zumindest Satiriker hat Böhmermann mit dem Schmähgedicht sehr wohl auch ein individuelles Erleben dargeboten. Er macht solidarisch für seine Kollegen der Satiresendung „extra 3“ auf einer satirisch eingekleideten Ebene deutlich, dass ein fremdes Staatsoberhaupt sich nicht in zulässige Kritik in der Form der Satire sanktionierend und zensierend einmischen darf, auch wenn es durchaus Grenzen gibt, die ein entsprechendes Eingreifen des türkischen Präsidenten gerechtfertigt hätten. Die Verneinung der Eröffnung des Schutzbereiches der Kunst durch das OLG erfolgte damit zu leichtfertig und ist im Ergebnis wohl ebenfalls als unzutreffend zu bewerten.

Wäre das Oberlandesgericht vorliegend davon ausgegangen, dass es sich bei dem „Schmähgedicht“ um Kunst handelt, hätte es nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im nächsten Schritt prüfen müssen, ob die heftigen Beleidigungen im Gedicht vom Zuschauer als Schilderung tatsächlicher Geschehnisse aufgefasst werden oder nicht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 13.06.2007 1 BvR 1783/05, Rn. 99), was zu bezweifeln ist. Es wird kaum ein Rezipient davon ausgehen, dass Erdoğan tatsächlich mit Vorwürfen der Pädophilie oder der Sodomie in Verbindung zu bringen ist.

Ausblick

Auch wenn das Oberlandesgericht Hamburg die Revision vor dem Bundesgerichtshof nicht zugelassen hat, ist davon auszugehen, dass Böhmermann eine Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH einreichen wird. Somit wird der Rechtsstreit wohl erst vor dem BGH ein Ende finden.

Wer sich vertieft mit der Zulässigkeit des „Schmähgedichts“ auseinandersetzen möchte, wird auf die folgenden Veröffentlichungen verwiesen:

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