Dem Guardian missfällt das "Recht, vergessen zu werden" – Zu Recht?
Die Entscheidung ist von uns unter anderem in den folgenden Beiträgen besprochen worden:
- „Der EuGH, Google und das “Recht auf Vergessen“
- „Recht auf Vergessen? – Konsequenzen des EuGH-Urteils“
- „Neues Google-Löschungsformular: Google vergisst nicht“
Der Guardian beschreibt am Beispiel von 6 mittlerweile aus dem Googleindex entfernten Artikeln, wie die Auffindbarkeit seiner Artikel unter dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs, jedenfalls auf der britischen Googleplattform „leidet“. Drei der 6 aus dem Index gelöschten Artikel stammen aus dem Jahr 2010 und befassen sich mit einem schottischen Schiedsrichter aus der Premier League, der wohl wegen einer umstrittenen Elfmeterentscheidung in einem Spiel zwischen Celtic und Dundee United Logo zurücktreten musste. Bei den anderen verschwundenen Artikeln handelt es sich um einen Beitrag über einen französischen Büroangestellten, der „post-it“-Kunst herstellte aus 2011, einen Bericht aus dem Jahr 2002 über einen Juristen, der in einem Betrugsprozess angeklagt worden war und eine Archivseite des Guardian.
Google versteckt Artikel des Guardian
Der Autor beklagt die Tatsache, dass der Guardian vor der Entfernung der Artikel weder gefragt wurde, noch eine irgendwie geartete Möglichkeit hat, dagegen vorzugehen. Er findet es außerdem merkwürdig, dass der Inhalt nicht vollständig gelöscht, sondern lediglich „versteckt“ werde, so dass er durch herkömmliche Verlinkungen nach wie vor erreichbar ist. Der Guardian meint, dass es zwar durchaus Artikel gebe, bei denen es gerechtfertigt sei, aus den Archiven gelöscht zu werden. So sei es zum Beispiel nachvollziehbar, dass jemand, der mit 18 eine Straftat begangen hat, nicht mit 30 von einem entsprechenden Bericht darüber bei der Bewerbung um einen Job benachteiligt werden soll.
Außerdem gebe es Möglichkeiten, den Artikel über die Suchmaschine Google zu erreichen. Google sendet zum Beispiel Nach einer Suche auf der britischen Google Homepage rechts unten ein Hinweis ein, der dem Nutzer empfehle, zu einer weiteren Suche doch einfach google.com zu suchen. Tue man dies oder wechsle gar zu einer völlig anderen Suchmaschine, seien Artikel alle Artikel nach wie vor unverändert erreichbar.
Schließlich sei die Löschungsverpflichtung Googles auch deswegen zu kritisieren da der Guardian – wie die übrigen Medien auch – regelmäßig über Sachverhalte berichteten, die politische, moralische oder ethische Fragen von öffentlichem Interesse zum Gegenstand hätten, so zum Beispiel bei Steuerfragen. Der Autor des Artikels bezeichnet die Möglichkeit, vor dem Hintergrund der Europäischen Gerichtsentscheidung Artikel „verschwinden zu lassen“ als Angriff auf die Pressefreiheit und ruft zum Widerstand dazu auf.
Der Autor vermutet schließlich, dass Google bei diesen „Zensurmaßnahmen“, wie er sie nennt, wohl nur widerwillig mithilft, da die Seitenbetreiber, deren Beiträge aus dem Index entfernt wurden, darüber in Kenntnis gesetzt werden und Google damit wohl anregen möchte, dass diese wiederum darüber berichten. Um das umzusetzen, möchte man offenbar über den Twitteraccount @GdnVanished eine Link zu jedem Artikel posten, der gerade gelöscht wurde. Auch der SPIEGEL ist offenbar bereits von Google-„Löschungen“ betroffen.
Missverständnis der EuGH-Entscheidung
Die Reaktion der Medien auf die EuGH-Entscheidung lässt ein grundsätzliches Missverständnis des Rechts auf Datenschutz Einzelner erkennen. Zunächst einmal greift Google durch seine Löschaktivitäten – und das räumt der Autor auch selbst ein – den Originalartikel nicht an, was freilich bereits technisch unmöglich auch rechtlich bedenklich wäre. Vor dem Hintergrund der von uns bereits erwähnten Neuerung im Urteil des Europäischen Gerichtshofs, nämlich die Feststellung, dass das Verhalten Googles eine eigene datenschutzrechtlichrelevante Handlung darstellt, muss Google allerdings sicherstellen, dass diese eigenen Handlungen nicht Rechte Dritter verletzen.
Wenn also nach Eingabe eines bestimmten Namens bei Google ein Artikel oder sogar eine ganze Zusammenstellung von Berichten in Bezug auf diese Person erscheinen, ist zu prüfen, ob diese konkrete „Datensammlung“ in Bezug auf die betroffene natürliche Person eine Rechtsverletzung darstellt. Ist das der Fall, muss Google die geeigneten Konsequenzen ziehen. Wenn die Rechtsverletzung nur durch Löschung bzw. Unsichtbarmachung bestimmter Links abgestellt werden kann, so ist Google verpflichtet, diese Maßnahmen zu treffen. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.
„Editorial decisions belong with them (the publishers), not Google“
Die Auswirkung auf den eigentlichen Artikel, nämlich dass dessen Sichtbarkeit bei einer Google Suche leidet, stellt somit nur einen Reflex dar und betrifft ihn darüber hinaus noch nicht einmal unmittelbar. In den Maßnahmen Googles ist somit weder ein Angriff auf die Pressefreiheit zu sehen noch stellen diese eine Einschränkung journalistischer Freiheiten dar.
Der folgende Satz im Teaser des Guardian-Artikels fasst das Missverständnis sehr anschaulich zusammen:
„Editorial decisions belong with them (the publishers), not Google.“
Das trifft zu. Die Entscheidungshoheit darüber, welche Geschehnisse berichtenswürdig sind und welche nicht, liegt nämlich auch nach der EuGH-Entscheidung beim betreffenden Medium. Diese erstreckt sich aber nicht auch auf die Frage, ob ein bestimmter Artikel in der Suchmaschine Google auftauchen darf oder muss. Eine solche Entscheidung liegt natürlich allein beim Betreiber einer Suchmaschine, im vorliegenden Fall Google. Das war schon immer so. Neu ist, wie gesagt nur, dass der europäische Gerichtshof dies nun offenbar als erstes Gericht überhaupt erkannt hat.