Diskriminierung – wann liegt sie (rechtlich) vor?
Anlass für die „Cancel Culture“ ist der Vorwurf einer Diskriminierung durch das Verhalten der „auszulöschenden“ Person. Doch was ist Diskriminierung und welche Grenzen existieren zu rechtlich garantierten Handlungs- und Äußerungsformen? Ist jedes harsche Urteil diskriminierend, jeder üble Scherz, jede abweichende Meinung, jede „kulturelle Aneignung“, jeder Unterschied, den man macht? Schauen wir genauer hin.
Gleichbehandlung per Verfassung
Zunächst mal heißt „Diskriminierung“ einfach nur „Unterscheidung“. Man macht einen Unterschied zwischen A und B. Das ist manchmal nützlich, manchmal sogar nötig. Das liegt daran, dass A anders ist als B und A die bessere Lösung eines Problems darstellt. Insoweit wird A gegenüber B zu bevorzugen sein, B scheidet aus. Die Frage ist, ob die Unterscheidung berechtigt ist. Dass Bundeskanzler Olaf Scholz nicht für die nächste Fußball-Weltmeisterschaft als linker Verteidiger nominiert wird, ist vielleicht ein taktischer Fehler des Trainers, aber erstmal durchaus nachvollziehbar. Denn die Frage der Berechtigung lautet: Ist die Unterscheidung sachlich begründet (wie wohl im Fall des leider nicht berücksichtigten Olaf Scholz) oder aber willkürlich? Basiert sie auf Inhalten, die in einem rationalen Diskus plausibel gemacht werden können, oder aber hängt sie an Merkmalen, die mit der Sachfrage nichts zu tun haben? Jene Unterscheidung ist berechtigt, diese nicht.
Unsere Verfassung nennt einige dieser Merkmale, die regelmäßig kein Grund für eine Unterscheidung sein dürfen: Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft, Glaube, religiöse oder politische Anschauung, Behinderung (Art. 3 Abs. 3 GG). Olaf Scholz darf also aufgrund mangelnder fußballerischer Finesse (so diese vorliegt) nicht für Katar nominiert werden, jedoch nicht wegen seiner hellen Hautfarbe, seiner Konfessionslosigkeit oder seiner Herkunft aus Osnabrück. Bereits hier merkt man: Es gibt ein Problem. Denn natürlich gibt es auch Fälle, in denen diese genannten Merkmale sachlich relevant sind. Wer einen Übersetzer für Arabisch sucht, muss die Bewerber ausschließen, die kein Arabisch können. Wer eine Lehrkraft für alevitischen Religionsunterricht sucht, muss alle Nicht-Aleviten ganz besonders auf Eignung prüfen. Wer für eine Film-Biographie zu Leben und Werk Nina Hagens eine Hauptdarstellerin sucht, muss allen Nicht-Frauen absagen. Und so weiter. Die entscheidende Frage ist auch durch die Aufzählung möglicher Diskriminierungsgegenstände nicht vom Tisch: die der Berechtigung des Unterschieds.
Gleichbehandlung per Gesetz
Weil das so ein schwieriges Thema ist (und weit komplexer als es die Mütter und Väter des Grundgesetzes 1949 ahnen konnten), gibt es dazu ein besonderes Gesetz: das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) aus dem Jahr 2000. Dort ist dann auch, der Klarheit halber, nicht von Diskriminierung die Rede, sondern von Benachteiligung; nur im Kontext von Institutionsbezeichnungen taucht Diskriminierung noch im negativen Modus auf („Antidiskriminierungsstelle“). Damit ist die eigentliche Bedeutung von Diskriminierung hervorgehoben: Jemand wird ohne guten, nachvollziehbaren, plausiblen Grund benachteiligt. Das soll nicht sein. Definiert wird „unmittelbare Benachteiligung“ als der Umstand, dass „eine Person eine weniger günstige Behandlung erfährt, erfahren hat oder erfahren würde als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation“ (§ 3 Abs. 1 AGG). Zudem kennt das Gesetz eine „mittelbare Benachteiligung“, die entsteht, „wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können“ (§ 3 Abs. 2 AGG). Daraus folgt, dass eine Ungleichbehandlung zum Nachteilsausgleich möglich ist, allerdings nur dann, „wenn sich die Rechtfertigung auf alle diese Gründe [gemeint sind die persönlichen Merkmale als Unterscheidungsgründe] erstreckt, derentwegen die unterschiedliche Behandlung erfolgt“. Somit kann es möglich werden, dass etwa bei Einstellungsverfahren eine Zeit lang bestimmte Personengruppen bevorzugt werden, um eine traditionelle Benachteiligung dieser Personengruppen systematisch auszugleichen.
Das AGG nennt einige Kontexte möglicher Diskriminierungserfahrung, allen voran die Berufs- und Arbeitswelt, aber auch den seit einigen Jahren sehr komplizierten Wohnungsmarkt. Hier fällt auf, dass gerade die Nachteilsausgleichsmöglichkeit in den Vordergrund gestellt wird, wenn es heißt: „Bei der Vermietung von Wohnraum ist eine unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf die Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen und ausgewogener Siedlungsstrukturen sowie ausgeglichener wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Verhältnisse zulässig“ (§ 19 Abs. 4 AGG). Insgesamt entsteht der Eindruck, dass man immer Rechtfertigungen dafür finden kann, das Gegenteil dessen zu tun, was mit dem Gesetz eigentlich intendiert ist.
Was abzuwägen ist: Würde und Freiheit
Es gibt auch ein Recht auf die Äußerung hirnrissiger Meinungen. Es gibt auch ein Recht auf Polemik und Satire. Doch diese Freiheiten werden durch das begrenzt, was den Staat und seine Bürger bindet: die Würde des Menschen. Das gilt auch für den Fall der Diskriminierung bzw. Benachteiligung als Prüfstein. Für den Tatbestand der Belästigung rekurriert auch das AGG explizit auf den Würdebegriff (§ 3 Abs. 3 und 4 AGG). Damit wird das, was „Diskriminierung“ als Missachtung von Würde jeweils bedeutet, immer auch einem außerrechtlichen Diskurs entspringen, der – von der Politik moderiert – in unserer Gesellschaft geführt werden muss.
Der Beitrag stammt von unserem freien Autor Josef Bordat. Er ist Teil unserer Reihe “Berichte aus der Parallelwelt”. Dort werfen Autoren aus anderen Fachbereichen einen Blick auf die Rechtswissenschaft in Theorie und Praxis. Die Beiträge betrachten, anders als unsere sonstigen Fachbeiträge Begebenheiten und Rechtsfälle daher auch nicht juristisch, sondern aus einem völlig anderen Blickwinkel. Aus welchem, das soll der Beurteilung der Leser überlassen bleiben. Interessant wird es, wie wir meinen, allemal.