Jameda, Schwarmschwachsinn und Psychotherapie
Heute kennt man von allem den Preis, von nichts den Wert. Das bekannte kulturpessimistische Bonmot Oscar Wildes aus dem Drama Lady Windermeres Fächer (1892 uraufgeführt), konnte lange als Kristallisation kapitalismuskritischer Weltsicht betrachtet werden: Der Markt als Kampfplatz, das Geld als Ordnungskriterium.
In unserem postmaterialistischen Zeitalter lässt es sich folgendermaßen rekonstruieren: Man kennt von nichts den Wert, aber von allem die Bewertung.
Bewertung: Harte Währung in virtuellen Welten
So haben „Likes“ längst die Funktion symbolischen Kapitals übernommen, und es gilt zur Aufrechterhaltung der Marktordnung das Mandat der Kunden-, Bürger-, Patienten-, Fan- und Bot-Bewertung. Ein bis fünf Sternchen diktieren das Geschehen. Marktteilnehmer schalten Agenturen ein, Agenturen lassen Bewertungen schreiben. Am Ende sind alle zufrieden: Der Auftraggeber, die Agentur, die Studenten.
Allein der Verbraucher muss sich über kurz oder lang etwas getäuscht sehen. Am Ende des Lernprozesses steht freilich die Relativierung der Bedeutsamkeit des Systems. Doch soweit sind wir noch lange nicht: Es gibt immer noch genug Menschen, die halten derartige Bewertungen für begründete Werturteile, denen sich anzuschließen Ausdruck von hoher Rationalität ist. Man sollte angesichts dessen vielleicht die letzten 1,5 Millionen Jahre Evolutionsgeschichte einfach noch mal wiederholen. Wäre einen Versuch wert, ist aber kaum finanzierbar. Also, leben wir damit: Likes matter.
„Jameda“ ist gerichtsbekannt
Offenbar auch für höchstpersönliche Dienstleistungen wie die Kunst der Ärztinnen und Ärzte. Selbst in Fragen der eigenen Gesundheit vertrauen viele dem Urteil des Schwarmschwachsinns. Gefunden wird dies auf dem Bewertungsportal „Jameda“. Das war schon öfter Gegenstand rechtlicher Auseinandersetzungen: Es ging um die Löschung einzelner Bewertungen und ganzer Profile. Und darum, dass „Jameda“ beim Ringen um den guten Ruf weit unter die Gürtellinie greift.
Meinungen sind Meinungen sind Meinungen
Besonders skurril wirken Bewertungen von Psychotherapeuten durch ihre Klienten, finden sich in den Diffamierungen doch oft exakt die Merkmale der zuvor ergangenen Diagnosen wieder. Das bestätigt dann eigentlich die Expertise der Therapeutin respektive des Therapeuten, allein: Es nützt ihr oder ihm nichts. Die Bewertung richtet sich gegen sie, gegen ihn.
Man sollte dabei beachten: Es handelt sich bei Bewertungen um Meinungsäußerungen. An die Zulässigkeit von Meinungsäußerungen werden hierzulande zu Recht nur sehr geringe Anforderungen geknüpft: Sie dürfen – im Blick auf Personen – deren Rechte nicht verletzen und – mit Blick auf den Staat – dessen Fortbestand nicht gefährden. Das ist alles. Das sollte man irgendwie schaffen. Eine andere Sache ist die Begründetheit von Meinungen. Hier sind andere Maßstäbe anzulegen. Prima facie ist aber (fast) alles als Meinung hinzunehmen, auch weit vom Konsens abweichende Wirklichkeitsauffassungen. Das gilt dann allerdings auch vice versa: Dem Anderen muss zugestanden werden, eine abweichende Auffassung zu vertreten.
„Jameda“, oder: die Ungleichheit der Mittel
Das Problem bei „Jameda“ ist nun: Der Diskurs ist asymmetrisch, es gibt keinen adäquaten Raum für eben solche Gegendarstellungen. Man darf über Ärztin oder Arzt erst mal alles behaupten, sie oder er muss das Urteil schlucken, denn eine Prüfung des Sachverhalts im Rahmen des „Jameda“-Qualitätsmanagements erforderte argumentative Gegenrede. Eine solche jedoch verstieße gegen die ärztliche Schweigepflicht. Unter diese fällt bereits die Tatsache der Behandlung selbst, sodann die Entstehung des Behandlungsverhältnisses, Name und alle persönlichen Daten des Patienten, Anamnese, Diagnose, Prognose und Therapie. Alles Dinge, die in einer Diskussion über die Bewertung zur Sprache kommen könnten oder müssten. Freilich belastet die ärztliche Schweigepflicht auch den Gang auf dem ohnehin steinigen und steilen Rechtsweg, der dem Diffamierungsopfer im Extremfall noch bleibt. Hier sind die Erfolgschancen aufgrund der in den Prozess eingetragenen Ungleichheit der Mittel vage. Ärzte und Therapeuten fühlen sich mithin erst an den Pranger gestellt, dann ohne fairen Prozess verurteilt.
„Jameda“, oder: der Auseinandersetzung ausweichen
Besonders im Bereich der Psychotherapie konterkariert „Jameda“ zudem den Therapieansatz der direkten Konfrontation mit Anderen, der Auseinandersetzung mit sich selbst. Man kann alles bequem externalisieren und perpetuiert damit so manche seelische Störung. Man könnte zugespitzt sagen: „Jameda“ ist wie gemacht für Psychopathen, die es unbedingt bleiben wollen. Der negative Rückkopplungseffekt ist doppelt tragisch: den Patienten führt es weiter in die Irre, den Arzt zwangsläufig zu Misserfolgen. Und irgendwann auch in den finanziellen Ruin.
Der Beitrag stammt von unserem freien Autor Josef Bordat. Er ist Teil unserer Reihe “Berichte aus der Parallelwelt”. Dort werfen Autoren aus anderen Fachbereichen einen Blick auf die Rechtswissenschaft in Theorie und Praxis. Die Beiträge betrachten, anders als unsere sonstigen Fachbeiträge Begebenheiten und Rechtsfälle daher auch nicht juristisch, sondern aus einem völlig anderen Blickwinkel. Aus welchem, das soll der Beurteilung der Leser überlassen bleiben. Interessant wird es, wie wir meinen, allemal.