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Wikipedia haftet für Fehler in Artikeln wie die professionelle Presse

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Das Landgericht Berlin hat in einem aktuellen Urteil entschieden, dass Wikipedia fehlerhafte Artikel nach erfolgtem Hinweis entsprechend korrigieren oder löschen muss.

In diesem Zusammenhang seien an die Beiträge und deren Verfasser die gleichen Sorgfaltsmaßstäbe zu setzen, wie an professionelle Presseberichte. 

Karlsruher Professor in geheimer Mission?

Das allseits bekannte Online-Lexikon Wikipedia ist nach dem Prinzip aufgebaut, dass grundsätzlich jedermann Artikel auf der Seite veröffentlichen kann. Die Beiträge werden also von – teils auch anonymen – Nutzern im Internet erstellt.

Auf Richtigkeit kontrolliert werden diese ebenfalls von Besuchern der Seite. Zwar existieren Admins mit erweiterten Rechten, diese gehören aber ebenso wenig zu Wikipedia. Betrieben wird die Datenbank von der Wikimedia Foundation mit Sitz in San Francisco, finanziert wird die Plattform primär durch Spenden.

Ausgangspunkt für die Entscheidung aus Berlin war die Klage eines Professors, der unter anderem Computerwissenschaften am Karlsruher Institut für Technologie lehrt. Diverse Nutzer hatten über den IT-Wissenschaftler einen Wikipedia-Artikel verfasst.

Das Brisante: Dem Beitrag nach habe der Dozent stellenweise im Rahmen seiner Tätigkeit für den amerikanischen Geheimdienst, im Einzelnen das Regierungsprogramm „Total Information Awareness“ recherchiert. Nachdem diese Behauptung zuvor in einem Fernsehbeitrag des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) im Rahmen der Serie „FAKT“ aufgestellt wurde, übernahmen die Verfasser die Information wenig später in die Online-Enzyklopädie.

Diese vermeintlich unzutreffenden Tatsachen wollte der Professor nun richtig gestellt wissen, da er das Zusammenbringen seiner Forschung mit Spionageprogrammen als rufschädigend empfand. In der Folge erhob dieser daher erfolgreich Unterlassungsklage gegen die Betreiber von Wikipedia (Landgericht Berlin, Urteil v. 28.8.2018, Az. 27 O 12/17).

Hase weiß von nichts, „gildet“ nicht!

Nach Ansicht der Richter haftet Wikipedia in solchen Fällen grundsätzlich zwar nicht deliktsrechtlich als Täter, wohl aber als Störer. Aus einer solchen Haftung lassen sich sowohl Prüfpflichten für den Störer als auch Unterlassungsansprüche des Betroffenen ableiten. So war das Berliner Landgericht der Auffassung, dass die Betreiber der Datenbank grundsätzlich nach erfolgtem Hinweis auf vermeintlich unrichtige Beiträge einem solchen nachzugehen habe.

Daran ändere auch das System von Wikipedia nichts: Dass die Betreiber die Beiträge nicht selbst erstellen und demnach auch nicht ohne Weiteres auf Richtigkeit überprüfen können, resultiere aus der eigens so geschaffenen Organisationsstruktur und gehe damit zu Lasten der Enzyklopädie. Nach erfolgter Überprüfung müsse das Online-Lexikon demnach auch entsprechende Korrekturen an den Artikeln vornehmen.

Ebenso entschieden die Richter auch im Falle des Computerwissenschaftlers. So habe sich Wikipedia – primär durch Bereitstellen der technischen Rahmenbedingungen und fehlende, klare Distanzierung – die Aussagen des im Text zitierten MDR-Beitrags zu eigen gemacht, und sei damit Störer. Zwar wurde im Artikel auf diesen als Quelle verwiesen, und der Konjunktiv verwendet. Trotzdem werde beim Leser der Eindruck erweckt, es handele sich um Tatsachenbehauptungen und nicht um Verdachtsäußerungen, so das Landgericht.

Wikipedia-Virtuosen als professionelle Publizisten?

Das Urteil aus Berlin beruht auf einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 2011 (BGH, Urteil v. 25.10.2011, Az. VI ZR 93/10). Hier hatten die Richter eine Störerhaftung von Host-Providern hinsichtlich diverser das Persönlichkeitsrecht verletzender Blogeinträge angenommen. Das Bereitstellen der technischen Möglichkeiten der Veröffentlichung dieser Posts begründe auch hier sowohl Prüfpflichten der Anbieter als auch Unterlassungsansprüche der Nutzer. Voraussetzung war allerdings ebenfalls, dass die Provider im Vorfeld auf die Inhalte hingewiesen wurden. Präventivmaßnahmen erachteten die Karlsruher Richter als nicht zumutbar.

Insofern schloss sich das Berliner Landgericht dem BGH-Urteil an. Interessant ist allerdings, aus welchen Gründen die Kammer den strittigen Artikel im Einzelnen als fehlerhaft und damit als korrekturwürdig erachtete. Die Richter nahmen hier eine Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Klägers und der Meinungsfreiheit der Verfasser vor. Letztere musste dabei im Ergebnis zurückzutreten.

Der Vorwurf, mit deutschen Steuergeldern für den US-amerikanischen Geheimdienst tätig zu sein, sei in hohem Maße rufschädigend und stelle eine üble Nachrede dar. Darüber hinaus seien die Verfasser nicht mit der erforderlichen presserechtlichen Sorgfalt vorgegangen, was den Eingriff intensiviere. Die Autoren hatten ihre Aussagen lediglich mit Presseartikeln belegt, was grundsätzlich nicht ausreiche. Vielmehr müssten Behauptungen mit privilegierten Quellen, wie behördlichen Mitteilungen oder bestimmten Presseagenturen belegt werden, um den Maßstäben gerecht zu werden.

Fazit

Durch das Bereitstellen der Plattform haftet Wikipedia grundsätzlich als Störer. Wann ein Artikel allerdings gelöscht oder korrigiert werden muss, hängt dem Urteil nach auch von der presserechtlichen Sorgfalt ab, mit der die Autoren ihre Beiträge erstellen. Demnach werden an die Verfasser die gleichen Maßstäbe gesetzt, wie an professionelle Pressemitteilungen. Wikipedia wird so als journalistisches Medium qualifiziert.

Als Konsequenz müssen der Entscheidung nach privilegierte Quellen und fachgerechte Recherche als Grundlage für die Artikel dienen. Angesichts der organisatorischen Struktur von Wikipedia ist dies eine durchaus gewagte Ansicht. Die meisten Beiträge der Enzyklopädie werden als Gruppenarbeit von einer Vielzahl Nutzer erstellt, darunter regelmäßig auch eine Fülle von nicht-professionellen Journalisten oder „Hobby“-Autoren.

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