Online-Archive: Wenn ein unzulässiger Pressebericht gelöscht wird, muss auch eine Gegendarstellung gelöscht werden
Wird ein unzulässiger Pressebericht aus dem Online-Archiv eines Presseorgans entfernt, so ist auch eine dazugehörige Gegendarstellung zu entfernen, wenn auf die Löschung des Presseberichts ein Anspruch besteht. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden (BGH, Urteil v. 28.09.2021, Az. VI ZR 1228/20).
In dem vom BGH entschiedenen Fall nahm der Kläger die Beklagte auf Entfernung einer von ihm selbst erwirkten Gegendarstellung aus deren Online-Archiv in Anspruch.
Zuvor war auf bild.de ein den Kläger identifizierender Artikel veröffentlicht worden, in dem über ein Ermittlungsverfahren gegen den Kläger berichtet wurde. Darin hieß es auch, gegen den Kläger werde wegen des Verdachts der Zuhälterei ermittelt und er habe einen Großteil der Taten gestanden. Auf Verlangen des Klägers veröffentlichte die Beklagte eine Gegendarstellung, in der es hieß, dass die zuvor verbreiteten Behauptungen unwahr seien und der Kläger kein Geständnis abgegeben habe. Die Beklagte wurde außerdem per einstweiliger Verfügung verpflichtet, nicht mehr zu behaupten, der Kläger habe einen Großteil der Taten gestanden und dass die Kriminalpolizei „nach BILD-Informationen“ gegen ihn ermittle.
Gegendarstellung weiter abrufbar
Die angegriffenen Äußerungen waren dann auf der Webseite der Beklagten nicht mehr verfügbar. Die Gegendarstellung konnte jedoch weiter über eine URL sowie über die Suchfunktion auf der Internetseite abgerufen werden. Bei einer Google-Suche nach dem Namen des Klägers erschien die Gegendarstellung auf den ersten zehn Ergebnisseiten nicht.
Eingriff in allgemeines Persönlichkeitsrecht
Der BGH bejahte wie das Berufungsgericht einen Unterlassungsanspruch des Klägers aus § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB (analog) i. V. m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Die Bereithaltung der Gegendarstellung im Online-Archiv der Beklagten stelle einen rechtswidrigen Eingriff der Beklagten in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers dar in seiner Ausprägung als Recht der persönlichen Ehre und des guten Rufes ein. Durch ihre Veröffentlichung werde der Kläger auch Jahre später mitgeteilt, dass der Kläger durch eine Berichterstattung mit Zuhälterei, einem Ermittlungsverfahren und einem Geständnis in Verbindung gebracht wurde. Für einen unbefangenen Leser bleibe im Raum stehen, dass es Anlass gebe darüber – wenn auch falsch – zu berichten. Der Kläger weise zu Recht darauf hin, dass an solchen Vorwürfen immer „etwas hängen“ bleibe.
Spiegelung unwahrer Vorwürfe
Durch die Bezugnahme auf die Erstmitteilung würden in der Gegendarstellung unwahre Vorwürfe gespiegelt und damit, wenn auch in verneinter Form, in Erinnerung gerufen. Dies gebe Anlass und eröffne Raum für Spekulation und beeinträchtige damit das Ansehen des Klägers. Der Kläger habe nicht freiwillig die nun von ihm beanstandeten Informationen offenbart, sondern sei hierzu gezwungen gewesen, um von seinem Recht auf Gegendarstellung Gebrauch machen zu können. Diese Rechtsausübung könne nicht gegen ihn gewendet werden.
Gegendarstellung keine „originäre Berichterstattung“
Auch das Argument der Beklagten, bei der Gegendarstellung handle es sich auch um eine Erklärung des Beklagten selbst, konnte den BGH nicht überzeugen. Dies sei bei Gegendarstellungen grundsätzlich der Fall, so das Urteil. Die Beklagte argumentierte ferner, sie habe sich die Gegendarstellung unter Berücksichtigung ihrer die Erstmitteilung korrigierenden „Anmerkung der Redaktion“ zu eigen gemacht. Der BGH befand, selbst wenn man hier von einem Zu-Eigen-Machen ausgehe, handle es sich bei der Gegendarstellung „nicht um eine originäre Berichterstattung der Beklagten“. Deren Zustimmung im Rahmen des „Redaktionsschwanzes“ unter der Gegendarstellung könne nicht dazu führen, „die Gegendarstellung einem gleichwertigen Schutz durch die Presse- und Informationsfreiheit der Beklagten zu unterstellen“. Die Anmerkung der Redaktion werde inhaltlos, wenn die Äußerung wegfalle, auf die sie sich beziehe. Eine Gegendarstellung bleibe „stets an eine Erstmitteilung in der Presse gebunden“, urteilte der BGH.
Keine Recht zur Veröffentlichung ohne „Gegen-Stück“
Zwar sei die Möglichkeit, einmal veröffentlichte Berichte online vollständig zu archivieren und als Spiegel der Zeitgeschichte zu erhalten, von der Pressefreiheit gedeckt. Doch sei der Fall hier anders gelagert als vom 6. BGH-Zivilsenat (vgl. Urteil v. 22.09.2020, Az. VI ZR 476/19) und vom Bundesverfassungsgericht (vgl. etwa BVerfG, AfP 2020, 302 mwN) zur Frage von Online-Archiven entschiedenen Fällen. Werde eine unzulässige Tatsachenbehauptungen enthaltende Erstmitteilung nicht mehr zum Abruf angeboten, dürfe auch die Gegendarstellung mangels „Gegen-Stücks“ jedenfalls über den Zeitraum des § 20 Abs. 1 Satz 4 Medienstaatsvertrag hinaus nicht gegen den Willen des Betroffenen zum Abruf vorgehalten werden. Andernfalls würde der Schutzzweck der Gegendarstellung unterlaufen.
Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und Pressefreiheit
Der BGH nahm eine Abwägung vor zwischen dem durch Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention gewährleisteten Interesse des Klägers am Schutz seines Persönlichkeitsrechts und dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention verankerten Recht der Beklagten auf Presse- und Meinungsfreiheit. Diese Abwägung fiel zugunsten des Klägers aus.
Mit seiner Entscheidung stärkt der BGH die Rechte der Betroffenen von Falschberichterstattung. Die Veröffentlichung einer Gegendarstellung kann nun nicht mehr dazu führen, dass diese einem Betroffenen zum Nachteil gereicht, indem dort unzulässige Behauptungen aus einem Pressebericht weiter verbreitet werden.