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Nationale Gerichtsentscheidungen und ihre Grenzen: YouTube-Sperrungen und technische Umgehungen

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Ein aktueller Gerichtsbeschluss befasst sich mit der Frage, inwieweit deutsche Gerichtsurteile in Bezug auf YouTube-Sperrungen greifen und welche technischen Möglichkeiten bestehen, diese Sperrungen zu umgehen.

Grundsätzlich sind deutsche Gerichtsentscheidungen – so wie alle nationalen Urteile – auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkt. Dies bedeutet, dass eine Entscheidung, die etwa eine Sperrung eines Videos in Deutschland anordnet, nur für das Territorium Deutschlands verbindlich ist.

Der Fall: Illegales Video wurde nur für Deutschland gesperrt

Die Schuldnerin war  aufgrund eines Beschlusses des Landgerichts Frankfurt vom 07.12.2022 verpflichtet worden, es bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken ein bei YouTube abrufbare Video zu veröffentlichen oder veröffentlichen zu lassen. Sie hatte das Video aber nicht gelöscht. Das war Video war lediglich von YouTube (wohlgemerkt: nicht von der Schuldnerin) für Deutschland „gesperrt“ worden (was das genau bedeutet, teilt YouTube nicht mit).

Die Gläubigerin nahm  die Schuldnerin im Zwangsvollstreckungsverfahren in Anspruch, da das streitgegenständliche Video weiter abrufbar war, soweit der Nutzer bei YouTube die Standortangabe nicht auf „Deutschland“ eingestellt hatte.

Das OLG Frankfurt sieht auch in simplen Umgehungsmethoden kein Problem

OLG Frankfurt sah darin – anders noch als das Landgericht Frankfurt – keinen Verstoß gegen das Unterlassungsgebot, da die Seite ist für You-Tube-Nutzer in Deutschland, die als Standort ihrer Nutzung in den YouTube-Einstellungen nicht unrichtigerweise ein anderes Land angegeben habe, nicht mehr erreichbar gewesen sei (OLG Frankfurt, Beschluss v. 24.6.2024, Az. 6 W 49/24, hier als PDF abrufbar).

Soweit Nutzer durch Auswahl eines anderen Standortes in den Einstellungen das Video weiter abrufen könnten, sei eine solche Umgehung der Schuldnerin nicht zuzurechnen. Die Schuldnerin dürfe davon ausgehen, dass Internet-Nutzer grundsätzlich keinen Anlass haben, ihren Standort zu verschleiern und daher deutsche Nutzer wahrheitsgemäß den voreingestellten Standort „Deutschland“ nicht verändern.

Technische Umgehungen: Standortmanipulation und VPN

Der vorliegende Fall zeigt, dass nationale Gerichtsentscheidungen im Internet oft nur bedingt wirksam sind. Ein anschauliches Beispiel hierfür ist die Sperrung von YouTube-Videos. Diese Sperrungen werden durch YouTube in der Regel auf Basis der IP-Adresse der Nutzer durchgeführt. Die IP-Adresse gibt an, aus welchem Land der Zugriff auf die Inhalte erfolgt. Dementsprechend kann YouTube die geografische Sperrung auf Grundlage dieser Information umsetzen.

Problematisch ist hierbei, dass Nutzer leicht Wege finden können, diese Sperren zu umgehen. Dies kann etwa durch die falsche Angabe des Standorts innerhalb des Benutzerkontos erfolgen. Eine in Deutschland geltende Sperrung lässt sich so durch die Angabe eines anderen Landes „aushebeln“, was dazu führt, dass das gesperrte Video dennoch abgerufen werden kann.

Ein noch gängigeres Mittel, um diese geografischen Sperren zu umgehen, ist die Nutzung von Virtual Private Networks (VPNs). Durch einen VPN-Dienst wird die tatsächliche IP-Adresse des Nutzers verschleiert, und es wird eine IP-Adresse eines anderen Landes simuliert. Dadurch erkennt YouTube die ursprüngliche geografische Herkunft nicht, was dazu führt, dass die Sperre effektiv umgangen wird.

Manche Schuldner machen sich das sogar bewusst zunutze und laden ein Folgevideo hoch, in dem sie auf die Umgehungsmöglichkeiten mit Standortwahl oder VPN explizit hinweisen.

Rechtsprechung und technologische Entwicklung: Eine kritische Betrachtung

Dieses Phänomen zeigt eines der grundsätzlichen Probleme auf, mit denen sich Gerichte und Gesetzgeber im digitalen Raum konfrontiert sehen: Die Rechtsprechung hinkt häufig den technologischen Entwicklungen hinterher. Es kann Monate oder sogar Jahre dauern, bis Gerichtsentscheidungen an die immer neuen technischen Möglichkeiten angepasst werden können. Diese Diskrepanz führt dazu, dass Maßnahmen, die der Gesetzgeber oder die Gerichte anordnen, oft nur eingeschränkt effektiv sind.

Im Fall der YouTube-Sperrungen zeigt sich dies besonders deutlich. Auch wenn eine Sperrung in Deutschland gerichtlich angeordnet wird, bleibt das Video aufgrund der technischen Mittel zur Umgehung dieser Sperre auch für deutsche User weiterhin leicht zugänglich. Dadurch wird die Wirksamkeit der gerichtlichen Entscheidung stark eingeschränkt.

Fazit: Braucht es neue rechtliche Ansätze?

Es stellt sich daher die Frage, ob die bestehende Rechtslage – die auf territoriale Zuständigkeiten beschränkt ist – noch zeitgemäß ist, oder ob es neuer, international abgestimmter Ansätze bedarf, um effektive Maßnahmen im digitalen Raum zu gewährleisten.

Es könnte aber vielleicht auch genügen, wenn die nationalen Gerichte auf diese Entwicklungen angemessen reagieren und zu Gunsten der Betroffenen nur eine vollständige Löschung des Videos als ausreichend erachten würden, dem Verbotstenor gerecht zu werden. Dies jedenfalls dann, wenn nicht gewährleistet ist, dass eine teilweise „Sperrung“ die Rechtsverletzung zuverlässig unterbindet.

Wir werden diese Fälle jedenfalls weiter zur Überprüfung der Gerichte stellen.

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