OLG Hamburg: Bezeichnung „Deutsche Stimmklinik“ für Arztpraxis ohne Betten irreführend
Was stellt man sich vor, wenn Personen im geschäftlichen Verkehr mit der Angabe „Deutsche Stimmklinik“ werben? Geht man davon aus, dass es sich tatsächlich um eine Klinik im Sinne eines Krankenhauses oder einer Praxis mit stationärem Aufenthalt handelt oder versteht der Durchschnittsbürger darunter eine herkömmliche Praxis unabhängig der Möglichkeit einer stationären Versorgung?
Das Oberlandesgericht Hamburg (OLG) entschied: Mit der Verwendung der Bezeichnung „Deutsche Stimmklinik“ entstehe ein irreführender Eindruck. Man gehe davon aus, dass es sich dabei als „Klinik“ um ein Krankenhaus oder eine Abteilung eines Krankenhauses handele.
Gemeinschaftspraxis ohne Betten
Die Beklagten, Ärzte der Praxis, sind Fachärzte für HNO-Heilkunde und haben sich unteranderem auf die Diagnostik und Therapie von Stimmstörungen spezialisiert. Sie arbeiten jeweils fachübergreifend mit Logopäden, Gesangspädagogen und weiteren Spezialisten zusammen. Darüber hinaus kooperieren die Beklagten mit verschiedenen Kliniken, um Patienten jederzeit die Möglichkeit eines stationären Aufenthaltes bieten zu können.
Die Wettbewerbszentrale mahnte die Beklagten ab und forderte sie zur Abgabe einer Unterlassungsverpflichtungserklärung auf. Denn durch die Nutzung der Bezeichnung „Deutsche Stimmklinik“ werden die angesprochenen Verkehrskreisen über die tatsächliche Größe der Praxis getäuscht. Bei einer solchen Einrichtung erwarte der Verbraucher einen Zusammenschluss mehrere Praxen, die in mehr als einer Stadt tätig seien. Außerdem hielt die Wettbewerbszentrale die Bezeichnung „Stimmklinik“ für irreführend – eine Klinik setze voraus, dass ein stationärer Aufenthalt, auch über Nacht, gewährleistet sei. Anders sei es bei einer Privatpraxis, die über Kooperationen mit anliegenden Kliniken eine solche Möglichkeit für den Notfall offenlasse.
Dem entgegneten die Beklagten, dass es sich bei der Kombination zwischen medizinischen und nichtmedizinischen Dienstleistungen um ein bundesweit einmaliges Modell handele, das mit üblichen Facharztpraxen nicht zu vergleichen sei. Für solche Einrichtungen habe sich in den vergangenen Jahren die Bezeichnung „Stimmklinik“ herausgebildet, wobei international die englischsprachige Übersetzung „Voice Clinic“ gebräuchlich sei. Demnach sei das Verständnis der angesprochenen Kreise bezüglich des Begriffs „Klinik“ im Wandel.
„Klinik“ = Krankenhaus?
Das Landgericht Hamburg (LG) kam zu dem Entschluss, ein Verbraucher verstehe unter einer Klinik ein Krankenhaus oder zumindest eine Abteilung eines Krankenhauses mit Betten für eine stationäre Versorgung – auch über Nacht (LG Hamburg, Urteil v. 15.11.2019, Az. 315 O 472/18). Daran ändere sich auch nichts durch die anerkannte internationale Bezeichnung „Voice Clinics“, denn dabei handele es sich ausweislich um Abteilungen von Krankhäusern (Hospital).
Dieses Merkmal treffe auf die „Deutsche Stimmklinik“ aber gerade nicht zu. Vielmehr handele es sich dabei um eine interdisziplinäre Gemeinschaftspraxis, bei der neben medizinischen Dienstleistungen auch nichtmedizinische Dienstleistungen, wie Logopädie oder Gesangspädagogik angeboten würden.
Kooperation mit einem Krankenhaus lässt Privatpraxis nicht zu „Klinik“ werden
Die Bezeichnung „Deutsche Stimmklinik“ könnte möglicherweise dann genutzt werden, wenn die jeweilige Praxis einen Kooperationsvertrag mit einem in der Nähe befindlichen Krankenhaus abschließen, der beinhaltet, dass eine Einweisung der Patienten jederzeit möglich ist. So wäre ein stationärer Aufenthalt gewährleistet und es mangelt grundsätzlich nicht mehr an der Möglichkeit einer Aufnahme der Patienten.
Nach Auffassung des Landgerichts ändere sich jedoch auch durch eine solche vertraglich festgelegte Kooperation nichts an der Tatsache, dass es sich nicht um eine Klinik als solche handele. Dieser Vertrag rechtfertige den Begriff „Klinik“ nicht, denn „bei der Aufnahme der Patienten in einer Klinik, mit der die Beklagte kooperiere, handelt es sich nicht um eine stationäre Versorgung durch die Beklagten selbst, so das Gericht in seiner Begründung.
OLG Hamburg: Gesundheitlicher Aspekt steht im Vordergrund
Der Meinung schloss sich das Oberlandesgericht Hamburg (OLG) nun auch an (OLG Hamburg, Urteil v. 2.9.2020, Az. 3 U 205/19). Der Verkehr erkenne den gesundheitlichen Aspekt der Angabe und verbinde sie deshalb mit dem für ihn üblichen Begriff einer „Klinik“. Verbunden werde damit vor allem eine Krankenhauseinrichtung, die auch Betten für den stationären Aufenthalt unterhalte. Demnach richte sich die Verkehrserwartung des Begriffs „Klinik“ entscheidend an der Möglichkeit einer stationären Behandlung – im Unterschied zu einer rein ambulanten Behandlung.
Zudem sei weder belegt, dass sich das Verständnis des Begriffs „Klinik“ im Wandel befinde noch, dass durch den Bestandteil „Stimm-“ bei der Bezeichnung „Stimmklinik“ verdeutlicht werde, dass es um eine Behandlung gehe, die sich regelmäßig einem stationären Aufenthalt entziehe.
Bezeichnung „Klinik“ für einfache Gemeinschaftspraxis irreführend
Die Bezeichnung „Deutsche Stimmklinik“ für eine ärztliche Gemeinschaftspraxis ohne die Möglichkeit eines stationären Aufenthalts führe den Verbraucher in die Irre. Auch ein bestehender Kooperationsvertrag mit einem anliegenden Krankenhaus ersetze das Fehlen der stationären Versorgung nicht.
Gewiss handelt es sich dabei nicht um einen Einzelfall. Die Wettbewerbszentrale musste sich schon des Öfteren mit der Frage beschäftigen, ob der Begriff „Klinik“ zu Recht geführt wird oder es zu einer Irreführung für den Verbraucher kommen kann. Erst im Jahre 2018 entschied das Oberlandesgericht Hamm auf Nachfrage der Wettbewerbszentrale, dass eine zahnärztliche Praxis ohne Übernachtungsmöglichkeit keine „Praxisklinik“ sei (OLG Hamm, Urteil v. 27.2.2018, Az. 4 U 161/17). Demnach handelt es sich auch hier nicht um einen Einzelfall und zeigt: Die Bezeichnung Klinik weist auf ein Krankenhaus oder Abteilung eines Krankenhauses hin.