200 Abmahnungen bei 6.000 € Gewinn = Rechtsmissbrauch
Wettbewerbsrechtliche Abmahnungen sollen für einen fairen Wettbewerb zwischen Unternehmen sorgen. In der Praxis gibt es jedoch immer wieder Fälle, in denen nicht die Rechtsverfolgung im Vordergrund steht, sondern vielmehr sachfremde Motive.
So zum Beispiel das Bestreben, dem Gegner Kosten zu verursachen bzw. Anwalt und/oder Abmahner eine Einnahmequelle zu verschaffen.
Der BGH stellte nun fest, dass ein gewichtiges Indiz für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen, darin liegt, dass der Kläger damit kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse verfolgt (BGH, Urteil v. 26.04.2018, Az. I ZR 248/16).
Wann ist eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung rechtsmissbräuchlich?
Nach § 8 Abs. 4 Satz 1 UWG ist die Geltendmachung der in § 8 Abs. 1 UWG bezeichneten Ansprüche unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist, insbesondere wenn sie vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen.
Nennenswertes wirtschaftliches Interesse erforderlich
In der Rechtsprechung werden seit Jahren Indizien entwickelt, an denen festgemacht wird, ob in einem konkreten Einzelfall ein solcher Missbrauch vorliegt.
Zu den rechtsmissbräuchlichen Abmahnverfahren haben wir bereits in den folgenden Beiträgen berichtet:
- KG Berlin: Zwei getrennte Verfügungsverfahren innerhalb der Dringlichkeitsfrist sind rechtsmissbräuchlich
- LG Frankfurt: Amazons Vorgehen gegen professionelle Kundenrezensionen ist rechtsmissbräuchlich
Nun hält der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom April 2018 fest (BGH, Urteil v. 26.04.2018, Az. I ZR 248/16), dass eine rechtsmissbräuchliche Abmahnung insbesondere dann vorliegen kann, wenn der Kläger kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse verfolgt.
Über 200 Abmahnungen
Die Klägerin handelt mit Briefkästen, die sie als Aktionsware an große Handelsketten vertreibt. Gegner war eine Baumarktkette, welche die Kästen der Klägerin zuletzt in den Jahren 2004 oder 2005 vertrieben hat. Im Frühjahr 2015 verkaufte der Baumarkt Briefkästen eines bestimmten Herstellers. Auf den Verpackungen befand sich der Hinweis „Umweltfreundlich produziert” sowie ein Siegel mit der Aufschrift „Geprüfte Qualität”.
Die Klägerin sah darin einen Verstoß gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Sie beantragte eine einstweilige Verfügung gegen den Hersteller, die das Landgericht Hagen mit Urteil vom 10.07.2015 (LG Hagen, Urteil v. 10.07.2015, Az. 23 O 25/15) antragsgemäß erließ. Die Berufung gegen die einstweilige Verfügung wurde vom Hersteller zurückgenommen.
Noch während des Berufungsverfahrens mahnte die Klägerin die Zentrale der Baumarktkette ab. Die Klägerin bat die Zentrale, die Abmahnungen an die Franchise-Nehmer weiterzuleiten. Die Zentrale der Baumarktkette bat jedoch darum, die Frist in der Abmahnung zu verlängern. Es erscheine sinnvoll, zunächst den Ausgang des Verfahrens gegen den Briefkastenhersteller abzuwarten.
Nach Erhalt dieses Schreibens verschickte die Klägerin insgesamt 203 Abmahnungen an die Filialen der Baumarktkette. Für jede Abmahnung verlangte sie Kosten in Höhe von 984,60 Euro zuzüglich Auslagen in Höhe von 20 Euro. Die Baumarktkette sah in dieser „Massenabmahnung“ einen Missbrauch – und bekam vor dem Bundesgerichtshof Recht.
Rechtsmissbrauch durch verselbständigte Abmahntätigkeit
Ob sich eine Rechtsverfolgung als missbräuchlich darstellt, ist aus der Sicht eines wirtschaftlich denkenden Unternehmers zu beurteilen. Abmahnungen gelten insbesondere dann als rechtsmissbräuchlich, wenn die Abmahntätigkeit in keinem wirtschaftlichen Verhältnis zur gewerblichen Tätigkeit des Abmahnenden steht (sog. verselbstständigte Abmahnungen).
So verhielt es sich im aktuellen Fall. Durch die über 200 ausgesprochenen Abmahnungen sind der Händlerin Anwaltskosten im sechsstelligen Bereich entstanden. Im Jahr 2013 konnte die Händlerin allerdings gerade mal einen Gewinn von unter 6.000 Euro erzielen.
Der BGH stellte fest, dass die Klägerin kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse durch die Abmahnungen verfolgt hat und ihre Interessen daher sachfremd gewesen seien:
„Kein kaufmännisch handelnder Unternehmer wird Kostenrisiken in einer für sein Unternehmen existenzbedrohenden Höhe durch eine Vielzahl von Abmahnungen oder Aktivprozessen eingehen, wenn er an der Unterbindung der beanstandeten Rechtsverstöße kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse hat.“ (BGH, Urteil v. 26.04.2018, Az. I ZR 248/16, Rn. 23)
Da die als irreführend beanstandete Aufschrift den Absatz der Klägerin nicht behindere, stünden hier keine nennenswerten wirtschaftlichen Interessen im Raum.
Voreilige Versendung der Abmahnungen
Ein weiteres Indiz für den Missbrauch stelle die voreilige Versendung der Abmahnungen dar: Wirtschaftlich wäre es sinnvoll gewesen, zunächst den Ausgang des Berufungsverfahren gegen den Hersteller abzuwarten. Die einstweilige Verfügung hätte nämlich die gleiche Folge gehabt: Die Briefkästen hätten nicht mehr mit der wettbewerbswidrigen Aufschrift verkauft werden dürfen.
Fazit
Im Ergebnis hat die Händlerin den Rechtsstreit verloren, obwohl sie in der Sache im Recht war. Sowohl die Abmahnungen als auch die nachfolgend mit der vorliegenden Klage verfolgten Unterlassungsanträge gegen die Beklagten stellen sich als rechtsmissbräuchliche Rechtsverfolgung und damit als unzulässig im Sinne von § 8 Abs. 4 Satz 1 UWG dar.
Das Urteil macht deutlich, dass es für die Prüfung einer missbräuchlichen Rechtsverfolgung durch Massenabmahnungen gegenüber Händlern auf die Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls ankommt. Den Standardfall „Rechtsmissbrauch“ gibt es nicht.
Dennoch: Wettbewerbsrechtliche Ansprüche müssen, auch und gerade wenn man eindeutig im Recht ist, ist mit Bedacht und Vorsicht durchgesetzt werden.