BGH: Werbung als Facharzt – nur wenn es stimmt
Zahnschmerzen oder schiefe Zähne? Ab zum Zahnarzt oder doch lieber zum Kieferorthopäden? Fest steht: Beruflich gesehen ist es nicht das Gleiche und juristisch gesehen auch nicht.
Wirbt also ein Zahnarzt, der nicht Fachzahnarzt für Kieferorthopädie ist, mit den Angaben „Kieferorthopädie“ und „Zahnarztpraxis für Kieferorthopädie“, muss er der dadurch ausgelösten Fehlvorstellung eines erheblichen Teils der angesprochenen Verkehrskreise, er sei Facharzt für Kieferorthopädie, durch zumutbare Aufklärung entgegenwirken.
Werbung eines Zahnarztes
Der Beklagte ist seit 30 Jahren als Zahnarzt tätig und erbringt kieferorthopädische Leistungen. Im Jahr 2012 erwarb er in Österreich an einer Universität den Abschluss mit dem Titel „Master of Science Kieferorthopädie“, den er auch in Deutschland führen darf. Zudem hat er seiner zuständigen Kammer den Tätigkeitsschwerpunkt „Kieferorthopädie“ angezeigt. Fachzahnarzt – also Kieferorthopäde – ist er nicht, er darf aber trotzdem kieferorthopädische Leistungen anbieten.
Die zuständige Zahnärztekammer störte sich insbesondere an dem Internetauftritt des Zahnarztes. Dort waren Begriffe wie „Kieferorthopädie in der X-Straße“, „Zahnarztpraxis für Kieferorthopädie“ oder „Kieferorthopädie der x-Zahnärzte“ zu lesen. Sie klagte gegen ihr Mitglied auf Unterlassung. Die Kammer vertrat die Auffassung, durch diesen Auftritt würden Verbraucherinnen und Verbraucher getäuscht. Diese gingen fälschlicherweise davon aus, der Zahnarzt sei auch Fachzahnarzt für Kieferorthopädie. Danach sei die beanstandete Werbung irreführend und damit berufsrechtswidrig sowie wettbewerbswidrig, weil eben bei potentiellen Patienten die hier unzutreffende Erwartung eines erfolgreichen Abschlusses einer förmlichen Weiterbildung als Fachzahnarzt für Kieferorthopädie geweckt werde.
Erstinstanzlich hat das Landgericht Düsseldorf (LG Düsseldorf, Urteil v. 06.03.2019, Az. 39 O 75/18) der Klage der Zahnärztekammer Nordrhein stattgegeben und den beklagten Zahnarzt antragsgemäß verurteilt, die beanstandeten Werbungen zu unterlassen.
Auch in zweiter Instanz hat das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG Düsseldorf, Urteil v. 18.06.2020, AZ. 20 U 35/19) auf die Berufung des Zahnarztes das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage der Zahnärztekammer abgewiesen. Im Wesentlichen stellte das Gericht darauf ab, dass die mit den Werbungen angesprochenen Patienten die werblichen Aussagen lediglich dahingehend verstünden, dass in der Zahnarztpraxis kieferorthopädische Behandlungen angeboten würden und der Beklagte über einen entsprechenden Tätigkeitsschwerpunkt und ausgewiesene Kenntnisse verfüge. Die Erwartung eines Fachzahnarztes für Kieferorthopädie sei mit den Werbungen jedoch nicht verbunden. Gegen das Urteil wurde Revision zugelassen.
„Zumutbare Aufklärung“ erforderlich
In dritter Instanz hat der Bundesgerichtshof (BGH, Urteil v. 29.07.2021, Az. I ZR 114/20) nunmehr die ursprünglich vom Landgericht ausgesprochene Verurteilung des beklagten Zahnarztes insoweit wiederhergestellt, als Werbungen mit der Gebietsbezeichnung „Kieferorthopädie“ ohne aufklärende Hinweise über die tatsächliche Qualifikation des Beklagten betroffen waren. Insbesondere die Werbung mit der „Kieferorthopädie in der X-Straße“ und „Zahnarztpraxis für Kieferorthopädie“ sei für den Verbraucher irreführend. Die Angabe allerdings, dass die Zahnarztpraxis auch im Bereich der Kieferorthopädie tätig sei, sei nicht zu bestanstanden. Dies entspreche ja der Wahrheit, so der BGH.
Insofern legte der BGH fest, dass der Zahnarzt einem falschen Eindruck durch „zumutbare Aufklärung entgegenwirken“ müsse. Das könne er durch einen Hinweis auf die Zusatzausbildung vornehmen. Dort sollte er jedoch offenlegen, dass er eben kein Fachzahnarzt sei, aber über vielfältige Erfahrungen verfüge – insoweit müsse er die Formulierungen sorgfältig wählen. Wie er jedoch in Zukunft tatsächlich werben darf, ließ der BGH offen.
Wie versteht ein Verbraucher diese Werbung?
Der Bundesgerichtshof setzte sich in seiner Entscheidung vor allem sehr genau damit auseinander, wie Verbraucher eine Werbung eines freien Berufes zu verstehen haben. Dabei müsse in erster Linie der Maßstab des § 5 Abs. 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) herangezogen werden.
Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 UWG handelt unlauter, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Eine Irreführung liegt vor, wenn eine bestimmte Angabe die angesprochenen Verkehrskreise täuscht, diese als von tatsächlich unzutreffenden Umständen ausgehen. Und für die Feststellung dieses Verkehrsverständnisses ist auf die Sicht eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbrauchers als eines (potentiellen) Patienten einer Zahnarztpraxis abzustellen. Hier müsse, so der BGH, immer eine genaue Differenzierung vorgenommen werden, auch im Lichte des Art. 12 GG. Pauschale Urteile oder Vermutungen, wie eine Angabe verstanden werden könnte, dürften eine sorgfältige Prüfung nicht ersetzen.
Das oberste Gericht in Karlsruhe stellt klar, dass entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts, ein erheblicher Teil der Verbraucherinnen und Verbraucher davon ausgehe, nur ein Fachzahnarzt für Kieferorthopädie dürfe kieferorthopädische Leistungen erbringen und entnehme den streitgegenständlichen Angaben daher die implizierte Aussage, der Beklagte sei ein solcher Fachzahnarzt. Insoweit seien dem Durchschnittsverbraucher die Facharzt- und Fachzahnarztbezeichnungen zwar nicht fremd, er kenne dementsprechend auch den Begriff „Fachzahnarzt für Kieferorthopädie“ und noch mehr die gebräuchlichere Abkürzung „Kieferorthopäde“. Darunter stelle er sich einen Zahnarzt vor, der eine von der zuständigen Berufsaufsicht anerkannte Weiterbildung im Fachgebiet der Kieferorthopädie mit bestandener Prüfung absolviert hat. Vertiefte Gedanken zur Dauer und zum Inhalt einer solchen Weiterbildung mache sich der Durchschnittsverbraucher hingegen nicht. Er wisse auch nicht, dass das für Ärzte grundsätzlich bestehende Verbot, außerhalb ihres Fachgebiets tätig zu werden, für Zahnärzte nicht gilt, und kieferorthopädische Leistungen daher auch durch approbierte Zahnärzte erbracht werden dürfen, die nicht dazu berechtigt sind, die Bezeichnung „Fachzahnarzt für Kieferorthopädie“ oder „Kieferorthopäde“ zu führen.
Verwechslungsgefahr mit dem Fachzahnarzt
Aus genau diesen Gründen müsse der Zahnarzt zur Vermeidung einer Irreführung bei seiner Werbung zwischen den verschiedenen Bezeichnungen unterscheiden. Die verwendeten Begriffe seien nah am Fachzahnarzt. In diesem Zusammenhang verweist der BGH auch auf seine Rechtsprechung (BGH, Urteil v. 24.07.2014, Az. I ZR 53/12) zu den Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten: Wählen diese selbst die Bezeichnung „Spezialist“, sieht der BGH eine Verwechslungsgefahr mit dem durch die Rechtsanwaltskammer verliehenen Fachanwaltstitel.
„Master of Science Kieferorthopädie“
Die ausschlaggebende Frage war also: Darf ein Zahnarzt, der den postgradualen Studiengang „Master of Science Kieferorthopädie“ erworben und mehrere Jahre in dem Fach praktiziert hatte, seine Praxis als „Praxis für Kieferorthopädie“ bezeichnen? Der Bundesgerichtshof erteilt ein relativ klares: Nein.
Macht der Arzt genaue, zutreffende Angaben, etwa durch Werbung mit seinem Masterabschluss und seinem Tätigkeitsschwerpunkt, sei dies zulässig. Er müsse eben nur den Eindruck vermeiden, er sei „Kieferorthopäde“ – also Fachzahnarzt. Dieses Urteil ist auch für die Werbung von Rechtsanwälten nicht unerheblich. Denn auch hier ist Vorsicht geboten – gerade bei der Werbung mit Begriffen und Zusatzbezeichnungen die der eines Fachanwalts naheliegen.