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Zur Selbstwiderlegung der Dringlichkeitsvermutung gemäß § 12 Abs. 1 UWG

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Selbstwiderlegung Dringlichkeit
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Der Erlass einer einstweiligen Verfügung setzt grundsätzlich Dringlichkeit beziehungsweise Eilbedürftigkeit der Sache voraus (so genannter Verfügungsgrund). Für wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche besteht allerdings in § 12 Abs. 1 UWG eine gesetzlich geregelte Ausnahme in Form einer widerleglichen tatsächlichen Vermutung der Dringlichkeit. Hintergrund der Privilegierung ist die Vorstellung, dass wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten im Normalfall immer eilbedürftig sind.

In manchen Fällen ist jedoch kein Raum für die Annahme eines Verfügungsgrundes, so jedenfalls die Auffassung des Oberlandesgericht Rostock.

Im Ergebnis liegt das Landgericht richtig

Das Landgericht Rostock (LG Rostock, Urteil v. 21.05.2021, Az. 3 O 306/21) wies erstinstanzlich bereits den einstweiligen Verfügungsantrag der Antragstellerin mangels Vorliegens eines Verfügungsgrundes im Sinne des §§ 920 Abs. 2, 936 ZPO zurück. Dieser Beurteilung schloss sich auch das Oberlandesgericht Rostock (OLG Rostock, Urteil v. 8.11.2021, Az. 2 U 25/21) im Rahmen der Berufung an. Für die Entscheidung sei zu Grunde zu legen, dass die Verfügungsklägerin bereits in der ersten Januarwoche 2021 Kenntnis von dem verfahrensgegenständlichen (vermeintlichen) Wettbewerbsverstoß hatte. Sie stellte den verfahrenseinleitenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung jedoch erst am 1. März 2021 – also annähernd zwei Monate später.

Zur Klarstellung: Eine einstweilige Verfügung setzt die objektiv begründete Gefahr voraus, dass durch eine Veränderung des Status quo die Rechtsverwirklichung des Antragstellers in einem Hauptsacheverfahren vereitelt oder erschwert werden könnte. Sie ist daher nur dann zu erlassen, wenn sie zur Abwendung einer Gefährdung des Gläubigerinteresses zur vorläufigen Sicherung im Eilverfahren dringlich geboten und notwendig ist. Wie bereits erwähnt, gilt für wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche eine widerlegliche tatsächliche Vermutung der Dringlichkeit. Die Vermutung greift für sämtliche Unterlassungsansprüche nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) ein und nicht bloß für solche, deren Entscheidung aus tatsächlichen und/oder rechtlichen Gründen einfach, klar und schnell erfolgen kann. Aufgrund der Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 1 UWG muss der Antragsteller den Verfügungsgrund abweichend von §§ 936, 920 Abs. 2 ZPO zunächst nicht glaubhaft machen, insbesondere bedarf es insoweit keiner Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung. Erst wenn der Antragsgegner Tatsachen vorträgt, die den Schluss auf eine Kenntniserlangung zu einem bestimmten Zeitpunkt zulassen, muss der Antragsteller darlegen und glaubhaft machen, wann er tatsächlich Kenntnis erlangt hat.

Doch auch sonst gilt die Vermutung der Eilbedürftigkeit im Wettbewerbsrecht nicht grenzenlos. Sie kann durch Tatsachen widerlegt werden, die glaubhaft gemacht werden müssen. Insbesondere widerlegt der Antragsteller die Dringlichkeitsvermutung, wenn er durch sein Verhalten zeigt, dass es ihm mit der Rechtsverfolgung „nicht so eilig“ ist – dies entspricht ständiger Rechtsprechung (BGH, Beschluss v. 1.07.1999, Az. I ZB 7/99). Dies sei der Fall, wenn der Antragsteller längere Zeit zuwartet, obwohl er den Wettbewerbsverstoß und die Person des Verantwortlichen kennt oder grob fahrlässig nicht kennt.

OLG: Selbstwiderlegung durch längeres Zuwarten

Das Oberlandesgericht stellt klar, dass bei einem Zuwarten von ca. 2 Monaten und damit einem nicht geringen zeitlichen Abstand, jedenfalls unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Falles für die Annahme eines Verfügungsgrundes – also einer besonderen Eile – kein Raum bestehe.

Die Verfügungsklägerin habe den ihr – mit dem reduzierten Beweismaß der Glaubhaftmachung – obliegenden Beweis einer späteren Kenntniserlangung ferner nicht geführt. Die näheren Umstände der Kenntniserlangung erwiesen sich aufgrund der auffallend detailreichen Schilderung letztlich als überzeugungsarm, dass aus ihnen keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit des an Eides Statt Versicherten abgeleitete werden könne, so das Gericht in Mecklenburg-Vorpommern.

Festzuhalten sei in erster Linie: Durch das Zuwarten von Anfang Januar 2021 bis zum 1. März 2021 habe die Verfügungsklägerin selbst zu erkennen gegeben, dass die Sache aus ihrer Sicht nicht gesteigert eilig war. Insoweit müsse der Senat nicht Stellung dazu beziehen, ob für die Frage der Dringlichkeitswiderlegung überhaupt auf starre oder wenigstens regelhafte Fristen abgestellt werden könne und wie diese gegebenenfalls zu bemessen seien (denn die in der Rechtsprechung festzustellende Spanne bewege sich, soweit von einzelfallunabhängigen Regelzeiträumen nicht generell Abstand genommen werden, überwiegend im Bereich von einem Monat bis zu sechs Wochen oder höchstens zwei Monaten). Jedenfalls schließe der in Rede stehende Zeitraum von nahezu zwei Monaten die Annahme eines Verfügungsgrundes aus.

Zeitspanne beachten!

Grundsätzlich ist es Sache des Antragsgegners, Tatsachen vorzutragen, um die Dringlichkeitsvermutung zu widerlegen. Das Urteil des OLG Rostock verdeutlicht jedoch, dass auch eine Selbstwiderlegung der Dringlichkeitsvermutung nicht selten vorkommt. Dafür reicht bereits ein längeres Zuwarten des Antragstellers. In solchen Fällen bedarf es dann einer Gesamtbetrachtung des prozessualen und vorprozessualen Verhaltens des Antragstellers. Und fest steht: Was einem Antragsteller nicht dringlich war, kann auch später nicht mehr dringlich werden. Ein Wiederaufleben der Dringlichkeit ist damit ausgeschlossen.

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