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Hat Facebook ein virtuelles Hausrecht?

Hassrede Facebook Meinungsfreiheit LG Offenburg
© kebox – fotolia.com

Wir erwarten, dass soziale Netzwerke wie Facebook Kommentare von ihrer Plattform entfernen, wenn diese gegen geltendes Recht oder die allgemeinen Geschäftsbedingungen (bzw. Gemeinschaftsstandards) verstoßen. Was aber, wenn kein Verstoß vorliegt und die Beiträge dennoch den Eindruck der Hassrede erwecken? Kann Facebook dann immerhin das virtuelle Hausrecht ausüben?

Ist das noch Meinungsfreiheit, oder kann das weg?

Am 15.01.2018 veröffentlichte der Kläger über sein Facebook-Profil den Beitrag:

„Die Tuberkulose breitet sich aus, Krätzeansteckung bei der Polizei. Was sagte dieser #SPD-Schulz: „was die Flüchtlinge uns bringen ist wertvoller als Gold.“ Eine echte Bereicherung. Fragt sich nur für wen? Für die Pharmakonzerne, die gesamte deutsche Krankheitsindustrie? Die verdienen alle gut daran. Der deutsche Schlafmichel bezahlt!“

Nach Veröffentlichung dieses Beitrages sperrte Facebook das klägerische Profil. Danach verbreitete der Kläger seine Beiträge über ein weiteres Nutzerkonto, das er zum Zwecke seiner Politiker-Tätigkeit unterhielt. Dieses sperrte Facebook am 15.05.2018 und machte dies aber kurze Zeit später wieder rückgängig. Daraufhin veröffentlichte der Kläger noch am selben Tag den Kommentar:

„Das ist doch keine Demokratie mehr in der wir leben. Dieses System ist am Ende. Die Medien gleichgeschaltet und Opposition wird kaltgestellt durch Verleumdung und Zensur! Zensiert … nun schon nach ganz eigenen Regeln. Lt. NetzDG können „strafbare Inhalte“ gelöscht werden. Der Text auf Rs. anderen …-Seiten enthält nur Zitate & Fragen und Feststellungen! Was soll der Angriff, der „strafbare Inhalt“ sein? Auch hier auf diesem Account greift diese widerrechtliche Sperre.“

Facebook löschte diesen Beitrag umgehend mit der Begründung, er verstoße gegen gegen die Gemeinschaftsstandards hinsichtlich „Hassrede“. Zudem sperrte das Unternehmen das Konto des Klägers bis zum 05.06.2018.

Ende Juli/Anfang August veröffentlichte der Kläger die beiden streitgegenständlichen Beiträge erneut unter Hinzufügung eines Zusatzkommentars. Facebook löschte erneut die Beiträge am 06.08.2018 und sperrte ebenfalls dessen Konto.

Der Kläger klagte sowohl gegen die Sperrung seiner Profile als auch gegen die Löschung der beiden Kommentare durch Facebook. Seiner Meinung nach, seien die Maßnahmen gewesen, da die Beiträge zumindest von der Meinungsfreiheit gedeckt und somit rechtmäßig waren.

Das Kleingedruckte 

Facebook dagegen verwies auf die Gemeinschaftsstandards, welche im engeren Sinne Allgemeine Nutzungsbedingungen bzgl. der sozialen Plattform sind. Unter Teil III. Nr. 12 der Standards nimmt das Unternehmen auf die sog. Hassrede Bezug:

„Wir lassen Hassrede auf … grundsätzlich nicht zu. […] Wir definieren Hassrede als direkten Angriff auf Personen aufgrund geschützter Eigenschaften: ethnische Zugehörigkeit, nationale Herkunft, religiöse Zugehörigkeit, […]. Auch Einwanderungsstatus ist in gewissem Umfang eine geschützte Eigenschaft. Wir definieren Angriffe als gewalttätige oder entmenschlichende Sprache, Aussagen über Minderwertigkeit oder Aufrufe, Personen auszuschließen oder zu isolieren. […] Wir lassen Humor und Gesellschaftskritik in Verbindung mit diesen Themen zu.“

Das Landgericht Offenburg hat Facebook nun untersagt, das Konto des Klägers wegen der Beiträge zu sperren oder diese Beiträge zu löschen (LG Offenburg, Urteil v. 26.09.2018, Az. 2 O 310/18).

Der enge Anwendungsbereich der Hassrede

Das LG Offenburg kam in seiner Entscheidung zu dem Schluss, dass die Löschung der Beiträge und die Sperrungen der klägerischen Konten rechtswidrig waren. Ein Verstoß gegen die Gemeinschaftsstandards von Facebook lag im Zeitpunkt der Veröffentlichung der Beiträge nicht vor.

Dem Beitrag vom 18.01.2018 fehlt es an einem „direkten Angriff“. Eine „gewalttätige oder entmenschlichende Sprache, Aussagen über Minderwertigkeit oder Aufrufe, Personen auszuschließen oder zu isolieren“ sei nicht erkennbar. Insbesondere werde nicht behauptet, alle Flüchtlinge würden Krankheiten einschleppen. Es handelt sich somit um eine nach den Standards zulässige Äußerung.

Auch bei dem Beitrag vom 15.05.2018 sei kein Angriff erkennbar. Selbst wenn mit den gewählten Formulierungen ein „Angriff“ in Form von Kritik verbunden sein sollte, so fehle es jedenfalls an einem tauglichen Adressaten im Sinne der Gemeinschaftsstandards. Auch fehle es in dem Beitrag an einer Anknüpfung an zumindest eine der geschützten Eigenschaften.

„Ey, du kommst hier nicht rein.“

Das Gericht verneinte ebenfalls eine Rechtfertigung der Löschungen und Sperrungen auf Grundlage des „virtuellen Hausrechts“ von Facebook, welches grundsätzlich berechtigt, einzelne Beiträge zu entfernen und Nutzer von der Nutzung der Plattform auszuschließen.

Im Verhältnis der vertraglichen Vereinbarungen (Gemeinschaftsstandards) und dem virtuellen Hausrechts, sei letzteres nur heranzuziehen, soweit die Nutzungsregelungen und Standards nicht abschließend sind.  Zudem müsse der Vertrag zwischen den Parteien dahingehend ausgelegt werden, dass Facebook auch über die vertraglich geregelten Fälle hinaus das Recht zustehen soll, die Nutzung des Nutzers zu beschränken.

Das Gericht ließ aber offen, ob ein solcher Fall vorliegt. Es war nämlich der Auffassung, dass die Meinungsfreiheit des Klägers das Interesse des sozialen Netzwerks an der Durchsetzung des virtuellen Hausrechts deutlich überwiege. Eine unzulässige Schmähkritik läge bei der Formulierung der streitgegenständlichen Beiträge nämlich nicht vor.

Ein Urteil von vielen

Die Entscheidung des LG Offenburg reiht sich in eine Reihe von Gerichtsentscheidungen bzgl. der rechtmäßigen Löschung von Kommentaren und Sperrung von Nutzerkonten durch Facebook ein.

Im Wesentlichen folgt das Gericht der bisherigen Rechtsprechung und den erarbeiteten Grundsätzen. Darüber hinaus weist es zudem auf den entscheidenden Unterschied zwischen der Geltung der vertraglichen Vereinbarungen (Gemeinschaftsstandards) und der davon unabhängigen Ausübung des virtuellen Hausrechts hin. Die sozialen Plattformen können nicht nach Belieben von ihrem virtuellen Hausrecht Gebrauch machen, sondern sind sowohl an vertragliche Vereinbarungen als auch an die Grundrechte, insbesondere der Meinungsfreiheit, gebunden.

Das Tüpfelchen auf dem „i“

Die Entscheidung ist nicht nur aus materiell-rechtlicher Sicht interessant. Das LG Offenburg nahm ebenfalls zu dem prozessrechtlichen Aspekt einer wirksamen Zustellung Stellung. Hintergrund ist, dass der Kläger zwar in Deutschland wohnt, Facebook dagegen seine Niederlassung in Irland hat. Der Rechtsstreit warf daher die Frage nach der Notwendigkeit einer Übersetzung der Klageschrift ins Englische auf, nachdem Facebook die Annahme der Klageschrift in deutscher Sprache verweigert hatte.

Zwar kann gemäß Art. 8 Abs. 1 Eu-Zustellungsverordnung (EuZVO) die Annahme eines zuzustellenden Schriftstücks verweigert werden, wenn es nicht in einer Sprache abgefasst ist, die entweder der Empfänger versteht oder die Amtssprache am Zustellungsort ist. Zweifellos ist Deutsch keine Amtssprache in Irland. Es kam daher darauf an, ob Facebook – und zwar nicht nur die Mitglieder der Geschäftsleitung, sondern auch Mitarbeiter, die sich um rechtliche Auseinandersetzungen mit Kunden in der Landessprache kümmern sollen – grundsätzlich Deutsch versteht. 

Das Gericht ging aufgrund der Größe des Unternehmens und der Präsenz in Deutschland (u.a. eine vollständig in deutscher Sprache gehaltene Plattform-Oberfläche) davon aus, dass auf Seiten von Facebook ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache vorhanden seien. Zudem waren sämtliche streitgegenständliche Dokumente wie die Nutzungsbedingungen und die Gemeinschaftsstandards in deutsche Sprache gehalten. Das LG Offenburg kam daher zu dem Schluss, dass die Annahmeverweigerung rechtsmissbräuchlich und die Zustellung der Klageschrift wirksam erfolgt war.

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