EuGH zur Verwirkung von markenrechtlichen Ansprüchen
Der Europäische Gerichtshof hat sich in einem Vorlageverfahren mit den Pflichten von Markenrechtsinhabern befasst. Wollen sie Markenrechte nicht verwirken, müssen sie unter Umständen abmahnen oder Gebrauch von behördlichen oder gerichtlichen Rechtsbehelfen machen. Dazu zählen auch Neben- oder Folgeansprüche wie Ansprüche auf Schadensersatz (EuGH, Urteil v. 19.05.2022, Az. C-466/20).
Das Vorabentscheidungsersuchen betraf die Auslegung von Art. 9 der EG-Richtlinie 2008/95 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken sowie die Artikel 54 und 111 der EG-Verordnung 207/2009 über die Gemeinschaftsmarke.
Namensstreit zweier Firmen mit ähnlichen Namen
Die Heitec AG stritt mit der Heitech Promotions GmbH und Rw wegen der Verwendung des Unternehmenskennzeichens „Heitech Promotion GmbH“ und der Benutzung von Marken mit dem Wortbestandteil „heitech“ durch die Letztgenannten.
Bundesgerichtshof legte EuGH vier Fragen vor
Der Bundesgerichtshof setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH vier Fragen zur Vorabentscheidung vor: Kann eine Duldung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2008/95 sowie von Art. 54 Abs. 1 und 2 und Art. 111 Abs. 2 der Verordnung 207/2009 durch ein Verhalten ausgeschlossen werden, das ohne Einschaltung einer Behörde oder eines Gerichts erfolgt? Stellt eine Abmahnung, mit der der Inhaber eines älteren Zeichens von dem Inhaber des jüngeren Zeichens Unterlassung verlangt, ein der Duldung im Sinne der gleichen Normen der Richtlinie 2008/95 sowie der Verordnung 207/2009 entgegenstehendes Verhalten dar? Kommt es für die Berechnung des fünfjährigen Duldungszeitraums im Sinne der Richtlinie 2008/95 sowie der Verordnung Nr. 207/2009 im Falle eines gerichtlichen Rechtsbehelfs auf die Einreichung des Rechtsbehelfs bei Gericht oder den Zugang des Rechtsbehelfs beim Anspruchsgegner an und ist es von Bedeutung, wenn der Zugang sich aufgrund Verschuldens des Inhabers der älteren Marke darüber hinaus verzögert? Und: Umfasst die Verwirkung nach der Richtlinie 2008/95 sowie nach der Verordnung 207/2009 neben Unterlassungsansprüchen auch etwa auf Schadensersatz, Auskunft und Vernichtung gerichtete markenrechtliche Folgeansprüche?
Abmahnung kann Verwirkung verhindern, wenn Maßnahmen folgen
Was die erste Vorlagefrage betrifft, entschied der EuGH, dass auch eine Abmahnung die Frist für den Eintritt der Verwirkung durch Duldung unterbrechen könne, sofern der Inhaber der älteren Marke oder eines sonstigen älteren Rechts nach der nicht zufriedenstellenden Reaktion auf die Abmahnung weiterhin seinen Widerstand gegen die Benutzung der jüngeren Marke zum Ausdruck bringe. Zudem müsse er die ihm zur Verfügung stehenden Maßnahmen ergreife, um seine Rechte geltend zu machen. Setze der Inhaber der älteren Marke seine Bemühungen hingehen nicht innerhalb einer angemessenen Frist fort, gegebenenfalls durch Einlegung eines behördlichen oder gerichtlichen Rechtsbehelfs, müsse daraus geschlossen werden, dass er nicht die Maßnahmen ergriffen habe, die ihm zur Verfügung standen, um die behauptete Verletzung seiner Rechte abzustellen.
Rechtsbehelf beendet Duldung und verhindert Verwirkung
Jedenfalls die Einlegung eines behördlichen oder gerichtlichen Rechtsbehelfs vor Ablauf der Verwirkungsfrist beendete die Duldung und verhindere folglich die Verwirkung. Durch die Einlegung eines solchen Rechtsbehelfs bringe der Inhaber der älteren Marke nämlich eindeutig seinen Willen zum Ausdruck, sich der Benutzung der jüngeren Marke zu widersetzen und der behaupteten Verletzung seiner Rechte abzuhelfen.
Bei Zustellung nationales Recht zu beachten
Was die dritte Vorlagefrage betrifft, entschied der EuGH, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Einlegung eines gerichtlichen Rechtsbehelfs die Verwirkung durch Duldung verhindere, wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück zwar vor Ablauf der Verwirkungsfrist eingereicht worden sei, aber aufgrund mangelnder Sorgfalt des Rechtsbehelfsführers nicht die Anforderungen des nationalen Rechts zur Zustellung erfüllt habe und die Mängel aus Gründen, die dem Rechtsbehelfsführer zuzurechnen seien, erst nach Ablauf der Verwirkungsfrist behoben worden seien. In einem solchen Fall könne der Rechtsbehelfsführer nämlich nicht geltend machen, dass er der Duldung der Benutzung der jüngeren Marke durch Einreichung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks ein Ende gesetzt habe.
Verwirkung umfasst auch Neben- und Folgeansprüche
Zu vierten Vorlagefrage urteilte der EuGH, dass Art. 9 der Richtlinie 2008/95 sowie die Art. 54, 110 und 111 der Verordnung 207/2009 so auszulegen seien, dass die Verwirkung auch Neben- oder Folgeansprüche wie Ansprüche auf Schadensersatz, auf Auskunft oder auf Vernichtung von Waren umfasse. Könnten solche Ansprüche nach Ablauf der Verwirkungsfrist Erfolg haben, könnte derjenige, der die Benutzung der jüngeren Marke während eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren wissentlich geduldet hat, gegen diese nach wie vor mit einem Rechtsbehelf vorgehen. Dies würde das mit der Regelung verfolgte Ziel beeinträchtigen, so der EuGH.
Mit seinem Urteil hat der EuGH eine Lücke in der Rechtsprechung geschlossen, die bei Markenrechtsstreitigkeiten in der gesamten Europäischen Union bestand.