Grundsätzliches
Das Recht auf Vergessenwerden ist Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Es umschreibt das Recht von Personen, deren Daten öffentlich gemacht worden sind und ständig abrufbar sind, geeignete Maßnahmen von den Verantwortlichen zu fordern, um das schutzwürdige Interesse der Betroffenen zu wahren, nicht jederzeit mit sie betreffenden negativen Publikationen in Verbindung gebracht werden zu können. Es dient somit der Entfaltung der Persönlichkeit betroffener Personen, indem sie die Möglichkeit erhalten, ihr Leben in Freiheit fortzuführen.
Entwicklung
Während in der Zeit vor dem Internet öffentliche Berichterstattung über einzelne Personen nach Ablauf einer gewissen Zeit auf natürliche Weise in Vergessenheit geriet, können heutzutage persönliche Verfehlungen, die öffentlich gemacht und in Online-Archiven gespeichert worden sind, immer wieder erneut durch die Listung in Suchmaschinen im Rahmen von anlasslosen namenbezogenen Suchen von jedermann aufgefunden werden. Ob Unionsrecht bzw. deutsches Recht hier den Betroffenen einen Anspruch auf Entfernung der Inhalte oder andere Maßnahmen gewährt, war zunächst ungeklärt.
Mittlerweile wurde die Reichweite des Rechts auf Vergessenwerden sowohl im Unionsrecht als auch im deutschen Recht in wichtigen Entscheidungen des EuGH (EuGH NJW 2014, 2257 – „Google Spain“) und des BVerfG (BVerfG NJW 2020, 300 – „Recht auf Vergessen I“; NJW 2020, 314 – „Recht auf Vergessen“ II) im Wesentlichen umrissen. Das Recht auf Vergessenwerden leitet sich aus den deutschen bzw. den europäischen Grundrechten ab und findet sich auch in einfachen Gesetzen wie etwa in Art. 17 Abs. 2 der Datenschutz-Grundverordnung.
Praktische Bedeutung
Die wohl relevantesten Anwendungsfälle des Rechts auf Vergessenwerden drehen sich um die Entfernung von Links zu belastenden Publikationen aus den Ergebnislisten von Online-Suchmaschinen wie Google oder die Löschung, Anonymisierung oder Anpassung der Auffindbarkeit der konkreten veröffentlichten Beiträge.
Eine Frage der Abwägung
Beim Recht auf Vergessenwerden handelt es sich jedoch nicht um ein Instrument, jegliche Kommunikation oder Berichterstattung, die ein Betroffener für unvorteilhaft hält, beseitigen zu lassen. Es bedarf immer einer Abwägung mit gegenläufigen Grundrechten, wie der Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit. Nur wenn der Schutz des Persönlichkeitsrechts als vorrangig gegenüber den Grundrechten der Verantwortlichen oder Dritter anzusehen ist, besteht auch ein Anspruch. Hierbei spielt insbesondere der Faktor Zeit eine wichtige Rolle, also wie lange die betreffenden Lebensvorgänge schon zurückliegen. Auch ist entscheidend, inwieweit die Betroffenen Personen des öffentlichen Lebens sind, ob die Inhalte der Sozialsphäre oder der persönlichen Sphäre zuzuordnen sind und welche zeitgeschichtliche Bedeutung ihnen zukommt.
Mit der voranschreitenden Digitalisierung und jederzeitiger Verfügbarkeit von personenbezogenen Inhalten wird das Recht auf Vergessenwerden auch in den kommenden Jahren weiter an Bedeutung gewinnen und durch die Rechtsprechung immer deutlichere Konturen erhalten.