OLG Frankfurt: Auch gerichtsbekannte Tatsachen müssen vorgetragen werden
Auch Tatsachen, die dem Gericht bekannt sind, müssen regelmäßig von einer Partei vorgetragen werden. Der Umstand, dass eine Tatsache gerichtsbekannt ist, ersetze nur die Beweisbedürftigkeit. So lautet ein Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt (OLG Frankfurt). Ein Lobbyverband und ein Amazon-Händler stritten darum, ob ein hinreichender Vortrag gegeben war zu einer angeblichen Täuschung über die Klagebefugnis nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (OLG Frankfurt, Urteil v. 09.06.2022, Az. 6 U 134/21).
Die Parteien stritten über die Verwirkung einer Vertragsstrafe. Der Kläger ist ein Interessenverband von Online-Unternehmern, die Beklagte ein Amazon-Händler im Bereich Lebens- und Genussmittel.
Kein ausreichender Sachvortrag – bloßer Hinweis reicht nicht aus
Die Beklagte hatte vorgetragen, dass nach Auffassung des Oberlandesgerichts Rostock das Abmahnverhalten des Klägers missbräuchlich sei, da er bei Abmahnungen planmäßig seine eigenen Mitglieder verschone. Das OLG Frankfurt war der Auffassung, die Beklagte habe keinen ausreichenden Sachvortrag für ein planmäßiges Verschonen von Mitgliedern gehalten. Der bloße Hinweis, das Oberlandesgericht Rostock habe in einem anderen Rechtsstreit eine entsprechende Auffassung vertreten, stelle keinen ordnungsgemäßen Sachvortrag dar. Es genüge auch nicht der im Berufungsverfahren vorgenommene Hinweis, der Kläger gehe „bekanntermaßen“ gegen eigene Mitglieder nicht vor. Insbesondere habe die Beklagte – anders als die Beklagte in einem Parallelverfahren vor dem Landgericht Köln (LG Köln, Urteil v. 26.01.2022, Az. 81 O 35/21) – keine Mitgliedsunternehmen benannt, die vergleichbare Verstöße gegen Informationspflichten wie die Beklagte begangenen haben und vom Kläger verschont wurden. Ein „planmäßiges“ Verschonen kann bei dieser Sachlage nicht festgestellt werden.
Mangels Vortrag kein § 242 BGB
Die Beklagte dürfe zwar in zulässiger Weise bestreiten, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Abmahnung über eine ausreichende Anzahl von Mitgliedern im Bereich Kosmetikartikel verfügte. Auch habe der Kläger nicht vorgetragen, ob und welche Mitglieder ihm zum Zeitpunkt der Abmahnung im hier fraglichen Warenbereich angehörten. Dies rechtfertige aber nicht den Einwand des Rechtsmissbrauchs gemäß § 242 Bürgerliches Gesetzbuch.
Sorgfältige Prüfung erforderlich
Im Parallelverfahren vor dem Landgericht Köln (LG Köln) entschied dieses, die Annahme eines Rechtsmissbrauchs erfordere eine sorgfältige Prüfung und Abwägung der maßgeblichen Einzelumstände. Das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs sei im Wege des Freibeweises zu prüfen. Grundsätzlich sei es zunächst Sache der Klägerseite, die sich auf einen Rechtsmissbrauch des Beklagten beruft und hieraus Ansprüche herleitet, Tatsachen für das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs darzulegen und dafür Beweis anzubieten. Dies gelte auch für das Geschäftsgebaren eines Verbands, zumal bei diesem davon auszugehen sei, dass er seine satzungsmäßigen Zwecke verfolge, so das LG Köln weiter.
Kläger kann sekundäre Darlegungslast treffen
Sei allerdings durch einen entsprechenden Tatsachenvortrag die für die Anspruchsberechtigung sprechende Vermutung erschüttert, so treffe den Verband als Kläger eine „zumindest sekundäre Darlegungslast“. Er muss müsse dann durch substantiierten Tatsachenvortrag den Einwand des Rechtsmissbrauchs entkräften.
An mangelndem Vortrag scheitert es in Prozessen immer wieder. Jetzt hat das OLG Frankfurt sehr schön ausgeführt, welche Pflichten die Klägerseite treffen. Am Ende bekommt der Kläger 1.000 Euro, muss aber Dreiviertel der Kosten des OLG-Rechtsstreits tragen.